Credo - Das letzte Geheimnis
endlich den Beweis haben, dener brauchte, um Lorenzo endgültig loszuwerden, ihn zurück ins Gefängnis zu schicken, wo er hingehörte. Achtzehn Monate für einen Mord – kein Wunder, dass die Verbrechensrate im Reservat so hoch war.
Er trank einen weiteren Schluck und entdeckte zu seiner Überraschung einen Mann, der die Straße zur Mission entlangkam und vor der sinkenden Sonne nur als Silhouette auszumachen war. Er kniff die Augen zusammen und starrte hinüber.
Lorenzo.
Selbst auf diese Entfernung konnte er an Lorenzos unsicherem Gang erkennen, dass der Mann betrunken war. Eddy verschränkte die Arme und wartete, und beim Gedanken an die bevorstehende Konfrontation schlug sein Herz schneller. Er würde das nicht einfach auf sich beruhen lassen – nicht dies-mal.
Lorenzo erreichte das Tor, lehnte sich einen Moment lang gegen den Pfosten und trat dann ein.
»Lorenzo?«
Der Navajo wandte langsam den Kopf. Seine Augen waren blutunterlaufen, seine albernen Zöpfe halb aufgelöst, das Stirnband saß schief. Er sah furchtbar aus und hielt sich so krumm, als trüge er die Last der gesamten Welt auf seinen Schultern.
»Komm bitte her. Ich möchte mit dir sprechen.«
Lorenzo starrte ihn nur an.
»Lorenzo, hast du mich nicht gehört?«
Der Indianer wandte sich ab und schlurfte zu dem Haufen Kleidung.
Eddy hastete hinüber und stellte sich Lorenzo in den Weg. Der Indianer blieb stehen, hob den Kopf und sah ihn an. Der säuerliche Geruch von Bourbon hüllte Eddy ein.
»Lorenzo, du weißt genau, dass der Genuss von Alkohol einen Verstoß gegen deine Bewährungsauflagen darstellt.«
Lorenzo starrte ihn stumm an.
»Außerdem bist du einfach gegangen, obwohl du noch nicht mit der Arbeit fertig warst. Ich muss deinem Bewährungs helfer berichten, ob du hier anständig arbeitest, und ich werde ihn nicht belügen. Ich werde nicht für dich lügen, hörst du? Du bist entlassen.«
Lorenzo ließ den Kopf sinken. Einen Moment lang hielt Eddy das für ein Anzeichen von Reue, doch dann hörte er ein röchelndes Geräusch, Lorenzo hustete Schleim hoch, schob den Schleimklumpen über die Lippen und ließ ihn zu Eddys Füßen in den Sand klatschen wie eine rohe Auster.
Eddys Herz hämmerte. Er raste vor Zorn.
»Spuck mich nicht an, wenn ich mit dir rede, Bürschchen«, sagte er laut.
Lorenzo versuchte, mit einem Schritt zur Seite um Eddy herumzugehen, doch der Pastor vertrat ihm erneut den Weg. »Hörst du mir überhaupt zu, oder bist du betrunken?«
Der Indianer stand einfach nur da.
»Woher hattest du das Geld für deinen Schnaps?«
Lorenzo hob die Hand und ließ sie schwer wieder sinken.
»Ich habe dich etwas gefragt.«
»Jemand war mir was schuldig.« Seine Stimme klang heiser.
»Ach ja? Wer denn?«
»Sie kennen seinen Namen nicht.«
»
Du
kennst seinen Namen nicht«, erwiderte Eddy.
Lorenzo machte einen weiteren halbherzigen Versuch, ihn zu umgehen, und Eddy trat wieder dazwischen. Er merkte, dass seine Hände zitterten. »Zufällig weiß ich, woher du das Geld hast. Du hast es gestohlen. Aus der Kirchenkollekte.«
»Niemals.«
»O doch. Du hast es gestohlen. Über fünfzig Dollar.«
»Blödsinn.«
»Red nicht so mit mir, Lorenzo. Ich habe gesehen, wie du es genommen hast.« Die Lüge war ihm über die Lippen gekommen,ehe er es recht gemerkt hatte. Doch das war jetzt gleich; er hätte ihn ja leicht dabei beobachten können – und das Schuldbewusstsein stand dem Jungen ins Gesicht geschrieben.
Lorenzo sagte nichts.
»Das waren fünfzig Dollar, die diese Mission dringend braucht. Aber du hast nicht nur die Mission bestohlen. Du hast nicht nur mich bestohlen.
Du hast Gott, den Herrn, bestohlen.
«
Keine Erwiderung.
»Was meinst du, wie der Herr darauf reagieren wird? Hast du einmal daran gedacht, als du dir das Geld genommen hast, Lorenzo?
Und wenn deine rechte Hand dir Anlass zur Sünde gibt, so hau sie ab und wirf sie von dir; denn es ist besser, dass eins deiner Glieder umkommt und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird
.«
Lorenzo wandte sich brüsk ab und ging den Weg zurück, den er gekommen war, in Richtung des Ortes. Eddy stürzte sich auf ihn und hielt sein T-Shirt an der Schulter fest. Lorenzo riss sich los und ging weiter. Plötzlich bog er ab und lief auf den Trailer zu.
»Wo willst du hin?«, rief Eddy. »Geh nicht da rein!«
Lorenzo verschwand im Wohnwagen. Eddy rannte ihm nach und blieb in der Tür stehen. »Raus hier!« Er zögerte, dem jungen Mann nach drinnen zu folgen,
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