Crescendo
während er sich entblößt auf seinem Stuhl zurücklehnte. So hatte er sich lange nicht mehr gefühlt … seit, ja, seit das Miststück sein Leben zerstört hatte.
Er wusch sich gründlich. Als er sauber war, wollte er die neueste Zeichnung in sein Sammelalbum stecken. Das Papier war zerrissen. In seiner Ekstase hatte er auf sie eingestochen. Eine große, klaffende, rote Wunde hatte ihre Papierbrüste und die Kehle zerfetzt. Er strich mit den Fingerspitzen über die Zeichnung, verharrte auf dem Gesicht und dem leuchtend roten Riss.
Die Zeichnung musste verschwinden. Die Wärter durchsuchten seine Zelle regelmäßig, und Batchelor bestand darauf, sein Album zu sehen, doch er brachte es nicht über sich, das Bild einfach zu zerstören und wegzuwerfen. Es war zu einem Totem geworden, einer Verheißung von etwas jenseits der Gefängnismauer. Der Gedanke, dass er ja jederzeit ein neues Bild zeichnen konnte, schwächte nicht sein Verlangen, das hier zu behalten. Er wollte mit dem Wissen schlafen gehen, dass er es hatte, es nach dem Aufwachen heimlich hervorholen und sich an den Geschmack ihrer Tränen erinnern können. Seine Verhaftung würde gerächt werden. Das Versprechen war gegeben worden, und er wusste, dass es eingelöst werden würde, früher oder später. Bis dahin würde das Bild sein Talisman sein.
Er suchte nach einem Versteck. Sein Blick fiel auf das Spiel, das verstreut auf dem Boden lag. Die Kunststoffschicht auf dem glänzenden Brett war gesprungen und hob sich von der Kartonverstärkung ab. Er nahm das Spielbrett auf, löste mit einem langen Fingernagel Beschichtung und Pappe voneinander und schob die gefaltete Zeichnung in die Öffnung. Dann drückte er das Brett wieder fest zusammen. Niemand würde die Beschädigung bemerken.
Statt THE GAME wegzupacken, las er das Heft mit den Regeln. Nach dem Abendessen fing er an zu spielen, warf die bunten Würfel mit immer größerem Geschick. Er merkte sich die möglichen Kombinationen und Folgen von jedem Spielergebnis. Es gab zigtausend Variationen, selbst bei dieser Spielversion. Mit einem leisen, zufriedenen Brummen griff er nach Papier und Bleistift und notierte seine ersten Ideen, wie er es in dieser neuen GAME-Version zur Meisterschaft bringen konnte.
Kapitel acht
Die Siedlung Parklea war so spät in den Siebzigerjahren entstanden, dass es für ihre architektonischen Fehler keine Entschuldigung gab. Die Häuser ragten sechzehn Stockwerke hoch und waren verbunden durch ein hässliches Betonspinnennetz aus halb überdachten Gehwegen. Sie wölbten sich kreuz und quer über längst abgestorbene Rasenflächen, warfen Schatten und stellten eine wunderbare Abschussrampe für die Wurfgeschosse dar, die von der jüngeren Generation auf die alte abgefeuert wurden.
Am Montagmorgen war die Siedlung trocken, heiß und stickig. Es stank so widerlich nach Urin und Hunde- oder Menschenkot aus zahlreichen versteckten Ecken, dass es den Beamten, die sich in der Wohnung Compton 6B versteckt hielten, den Atem verschlug. Die ehemaligen Mieter waren einer Zwangsräumung zuvorgekommen und hatten die Wohnung total verwahrlost zurückgelassen. Die Stadtverwaltung hatte sich die Renovierung erspart und dadurch erst Hausbesetzer, dann Penner angelockt. Nachdem ein Feuer ausgebrochen war, das auf den bewohnten Teil des Blocks überzugreifen drohte, entschied sich die Verwaltung schließlich, die Räumlichkeiten zu versiegeln. Seitdem stand die Wohnung leer.
Leider eignete sich 6B ausgezeichnet zur Überwachung des offenen Geländes zwischen den Hochhäusern, das teilweise im Schatten, teilweise im gleißenden Sonnenlicht lag. Detective Sergeant Nightingale hatte die erste Schicht. Ihr Partner trug seine Undercover-Verkleidung – einen fünf Tage alten Bart und langes, fettiges Haar – mit Stolz. Er war gerade in einem Café auf der anderen Seite der Siedlung, um etwas zum Frühstück zu holen.
Detective Constable Rike hatte ihr nach einem Blick auf ihre Designerjeans und das frisch gewaschene und gebügelte T-Shirt geraten, sich lieber bis Schichtende versteckt zu halten. Das bedeutete, dass sie noch genau sechs Stunden und zwölf Minuten in diesem stinkenden Loch hocken musste.
Morgen würde sie ein paar Müllsäcke als Sitzunterlage mitbringen, doch im Augenblick hatte sie nur die Wahl, unbequem stehen zu bleiben oder mit irgendetwas Widerlichem in Berührung zu kommen, das an die Wände geschmiert oder auf dem Boden hinterlassen worden war. Sie entschied sich fürs
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