Crescendo
zu übertünchen.
Es kostete sie Überwindung, sich anschließend wieder vor den Bildschirm zu setzen, und sie hatte auch kein großes Verlangen, die Fotos zu sehen, die durch ein Passwort geschützt waren. Sie waren bestimmt noch schlimmer, und schon bei der Vorstellung wurde ihr schlecht. Während sie sich konzentriert ausloggte, damit Dave ihr nicht auf die Schliche kam, versuchte sie vergeblich, alle anderen Gedanken zu verdrängen. Dave mochte diesen Mist, er hatte im Internet danach gesucht und ihn gefunden. Was mochte er sonst noch? Musste sie sich eingestehen, dass er ein Sadist war, den Schmerz und Gewalt anmachten? Sie kannte die Antwort längst, aber trotz ihres Entsetzens verspürte sie auch Erleichterung. Nichts, was sie entdeckt hatte, deutete darauf hin, dass er zu einem Mord fähig war.
Als Wendy den PC ausschaltete, musste sie sich wirklich sputen. Sie schlüpfte gerade in ihre Schuhe, als sie unten die Haustür ins Schloss fallen hörte. Ihre Nachbarn waren schon zur Arbeit, es konnte sich also nur um Dave handeln. Sie stieß ein Wimmern aus und suchte verzweifelt nach einem Versteck, aber die Wohnung war eine Falle. Ihre einzige Möglichkeit war, durch das Badezimmerfenster nach draußen auf das Flachdach im Erdgeschoss zu klettern. Von dort müsste sie runterspringen können.
Wendy war kein mutiger Mensch und weder sportlich noch gelenkig, doch der Gedanke, dass Dave sie erwischte, während der PC noch warm war, weil sie ihn benutzt hatte, war entsetzlicher als jede körperliche Anstrengung. Das Risiko mit dem PC würde sie eingehen müssen, vielleicht glaubte er ja, dass das Gerät sich noch nicht abgekühlt hatte, nachdem er es vorhin benutzt hatte. Sie hörte Schritte auf dem Flur im Treppenhaus und sah gleich darauf eine Silhouette in der Milchglasscheibe der Wohnungstür. Sie schnappte sich ihre Tasche, lief ins Bad und schloss die Tür hinter sich, als Dave den Schlüssel ins Schloss steckte. »Bitte Gott, mach, dass er nicht ins Bad kommt«, dachte sie, als sie das Fenster öffnete und die Tasche hindurchschob. Es war schmal, aber vom Klodeckel, auf dem sie stand, konnte sie sich hindurchzwängen und auf das Dach gut einen Meter darunter steigen.
Als sie gerade das Fenster zudrückte, ging die Badezimmertür auf. Wendy tauchte ab, presste sich gegen die Hauswand und betete. Sie hörte, wie der Klodeckel hochgeklappt wurde, und dann ein langes Pinkelgeräusch. Als die Spülung rauschte, zählte sie bis zehn und riskierte dann den Sprung nach unten auf den asphaltierten Hof. Sie blickte sich nicht um, als sie das Tor öffnete und zu ihrem Wagen lief, den sie drei Straßen weiter versteckt hatte.
Während der Fahrt durch den dichten Stadtverkehr ging sie die Bilder in ihrem Kopf noch einmal durch. Als sie beim Krankenhaus eintraf, hatte sie ihre Gedanken unter Kontrolle, Entschuldigungen und Erklärungen parat. In so etwas war sie geübt. Selbstbetrug war verhältnismäßig leicht, wenn die Alternativen undenkbar waren.
Nachdem sie sich einen ganzen Arbeitstag lang um die Traumata anderer Menschen gekümmert hatte, hatte sie wieder halbwegs in ihr altes Schema zurückgefunden, in dem sie in erster Linie darüber nachdachte, ob Dave noch da sein würde, wenn sie nach Hause kam, und falls ja, was sie ihm zum Abendessen kochen sollte.
Kapitel sechzehn
Nightingale lag im Dunkeln, noch halb im bösen Griff eines schlechten Traums. Sie konnte sich selbst nicht erklären, warum sie wieder Albträume hatte, aber nach einem wunderbar tiefen Schlaf in der ersten Nacht hatte sie wiederholt von Griffiths geträumt. Er verfolgte sie nachts durch einen Wald, während ein großer Vogel durch die Bäume flog und Zweige und Blätter auf sie niederregnen ließ. Sie trug ein durchsichtiges grünes Kleid mit nichts darunter. Griffiths war maskiert und viel größer, als sie ihn in Erinnerung hatte.
Jede Nacht wachte sie auf, wenn seine Finger ihr Haar packten und es nach hinten zogen. Als sie sich heute Nacht aus den Tiefen des Schlafes emporkämpfte, hatte sie seinen heißen Atem an ihrem Hals gespürt, Sekunden, bevor sie erschreckt die Augen aufriss. Sie zog sich einen Pullover über das T-Shirt und ging Holz für den Herd suchen, um sich eine Tasse Tee zu machen. Während sie wartete, bis das Feuer das Wasser erhitzte, zündete sie eine Gaslampe an und breitete die Unterlagen aus dem Geheimfach ihrer Tante aus. Sie hatte das schon mehrmals getan, aber sie war noch immer nicht hinter das Geheimnis
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