Crescendo
reizvoller, und er malte es sich in allen Einzelheiten aus. Als sie sah, dass er sie anlächelte, lächelte sie ebenfalls, und er war drauf und dran, es sich doch anders zu überlegen. Sie forderte ihn ja geradezu auf, und er spürte, dass sie gut sein würde. Sie würde sich wehren. Und er musste ohnehin bald wieder zuschlagen, sonst würde die Polizei noch denken, der Mord an Lucinda wäre ein Einzelfall, was Griffiths’ Berufung gefährden könnte. Vielleicht konnte er dieses eine Mal das Risiko eingehen. Er beugte sich vor.
»Beverly! Da bist du ja. Ich such dich schon überall.« Eine pummelige junge Frau mit Nickelbrille und Kraushaar drängte sich zu ihrem Tisch durch.
»Ich hab doch gesagt, wir treffen uns hier.« Die junge Schönheit ihm gegenüber zog plötzlich eine Schmollmiene, und die Vorstellung, fest auf ihre volle Unterlippe zu beißen, war köstlich.
»Du hast gesagt, bei Starbucks, nicht hier. Egal, mir ist ja noch eingefallen, dass das hier dein Lieblingscafé ist. Los, wir sind schon spät dran.«
Beverly schaute ihn mit einem enttäuschten Lächeln an, und er hob die Augenbrauen, um sie zum Bleiben zu bewegen. Sie zögerte einen Augenblick. Doch ihre dralle Freundin zog sie weg. Er blickte ihnen nach, leicht frustriert. Es war ohnehin Zeit, Iain anzurufen, und das tat er am besten von zu Hause aus. Er brachte das Tablett mit seiner Tasse wie ein braver Bürger weg und machte sich auf den kurzen Fußweg nach Hause.
Wendy durchsuchte den Schreibtisch nach Daves Passwort. Sie förderte etwas Dope, ein paar Pornohefte und Unterlagen über ein Konto auf der Isle of Man zutage, von dem sie nichts gewusst hatte, aber keine Spur von dem, was sie sich erhoffte. Jetzt, da sie tatsächlich an seinem Schreibtisch saß, hatte sie das Gefühl, die schwierigste Entscheidung bereits getroffen zu haben. Das Problem war nur, dass sie schon zweimal ein falsches Passwort eingeben hatte. Beim dritten Fehlversuch würde der PC streiken. Das hatte sie einmal im Krankenhaus erlebt, und dann musste das Passwort zurückgesetzt werden. Das Risiko konnte sie nicht eingehen – Dave würde es merken, wenn er das nächste Mal an den Computer ging, und dann wäre ihr Leben nicht mehr lebenswert.
Eine leise Stimme riet ihr aufzuhören. Sie hatte sowieso nicht mehr viel Zeit. Wenn sie zu spät zur Arbeit kam, würde das Krankenhaus anrufen und Dave würde merken, dass sie ihn angelogen hatte. Ihre Handflächen waren so nass wie ihre Wangen.
»Ich muss es jetzt machen«, sagte sie sich laut, weil sie wusste, dass sie nie wieder den Mut aufbringen würde.
Sie starrte auf die Buchstaben, die sie notiert hatte, nachdem sie einmal durch den Spalt in der Tür spioniert hatte. Seine rechte Hand war sichtbar gewesen, und sie hatte ganz deutlich _OU_I_I erkannt. In den Wochen danach hatte sie recherchiert. Im Lexikon hatte sie nur drei Wörter mit den passenden Buchstaben gefunden, und die ersten beiden waren falsch gewesen. Jetzt blieb ihr nur noch eine Chance. Wendy schaute auf den schweißfeuchten Zettel in ihrer Hand und sprach ein stilles Gebet, bevor sie die fehlenden Buchstaben eintippte: H, D, N. Ihr Finger verharrte über der Enter-Taste, dann drückte sie sie mit einem hörbaren Aufschluchzen.
HOUDINI, der berühmte Entfesslungskünstler. Sein Gesicht tauchte auf dem Bildschirm auf und lächelte sie an. Sie war drin. Sie öffnete den Internet-Explorer und fand seine Web-Favoriten. Dave hatte keine Ahnung, dass sie sich mit Computern auskannte, dass sie heimlich einen Kurs belegt hatte, mit Geld, das sie aus der Haushaltskasse abzweigte. Sie bewegte die Maus auf die Adresse, die er zuletzt aufgerufen hatte. Auch sie war durch ein Passwort geschützt, und als HOUDINI nicht klappte, wählte sie die nächste Website. Bei der fünften hatte sie Glück. Auf der Seite waren sadomasochistische Sexfotos, die sie sich ungerührt anschaute. Was sie da sah, war harmlos im Vergleich zu den Realitäten ihres Lebens.
Die Zeit wurde knapp. Sie öffnete die nächste Site, und sah mit Entsetzen Großaufnahmen von Zugunglücken und Naturkatastrophen, die schauerliche Blutbäder angerichtet hatten. Auf einem Bild lag ein abgetrennter Fuß neben einer roten Masse, die aussah wie Tomatenmark mit weißen Bohnen darin. Als sie erkannte, dass es sich um ein zerschmettertes Gesicht handelte, schaffte sie es gerade noch ins Bad. Sie reinigte die Kloschüssel gründlich von ihrem Erbrochenen und sprühte Parfüm in die Luft, um den Geruch
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