Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
Vom Netzwerk:
und kniete kurz nieder, eine Bewegung, die sie in der Kindheit verinnerlicht hatte. Vor sich nahm sie das Raunen alter Menschen wahr, wie trockenes Rascheln. Der Pfarrer kam mit einem Chor herein, der das Durchschnittsalter schlagartig senkte und die Zahl der versammelten Gemeindemitglieder auf zwanzig erhöhte.
    Die Organistin spielte die Eröffnungstakte des ersten Kirchenliedes, und Nightingale fiel ungehemmt mit ein, fest davon überzeugt, dass ihre Altstimme gut ankommen würde. Während sie sang, beobachtete sie die Organistin, eine Frau etwa im Alter von Nightingales Mutter, die energisch die Register und Tasten bearbeitete und die wenigen Stimmen animierte, ihr Bestes zu geben. Der Gottesdienst verlief traditionell, die Lieder waren dieselben, die sie schon als Kind gesungen hatte. Niemand klatschte, niemand stieß Freudenrufe aus und niemand schlug ein Tamburin. Es war durchaus möglich, dass dieser Gottesdienst in genau der Form schon vor fünfundzwanzig Jahren abgehalten worden war und jetzt bloß wieder aufgewärmt wurde.
    Als sie ging, wartete der Pfarrer an der Tür, um ihr die Hand zu schütteln. Hinter ihm stand die Gemeinde in kleinen Grüppchen beisammen, scheinbar, um ein wenig zu plaudern, aber Nightingale ließ sich nichts vormachen.
    »Ein schöner Gottesdienst. Danke.«
    »Danke, dass Sie gekommen sind, Miss Nightingale. Sehen wir Sie nächste Woche?«
    »Ich hoffe doch.« Sie schüttelte ihm die Hand, und er wandte sich zum Gehen. »Ach, entschuldigen Sie, könnten Sie mir vielleicht das Grab meiner Tante zeigen?«
    Der Pfarrer wurde rot und hielt nach Rettung Ausschau.
    »Ich mach das schon, Father Patrick«, meldete sich eine Stimme hinter Nightingale, und als sie sich umdrehte, sah sie die Organistin näher kommen.
    »Ach ja, das ist nett, danke, Amelia. Dann überlasse ich Miss Nightingale Ihrer Obhut …« Er flüchtete sich zu den weniger schwierigen Schäfchen seiner kleinen Herde.
    »Ich bin Amelia Mayflower. Sie müssen Henrys Tochter sein. Sie haben genau seine Augen. Wirklich erstaunlich«, sie kniff die Augen zusammen und musterte Nightingale unverhohlen, »die Ähnlichkeit ist verblüffend.«
    Nightingale behagte es nicht, so in Augenschein genommen zu werden.
    »Finden Sie? Normalerweise heißt es, dass mein Bruder Simon meinen Eltern ähnlicher sieht.«
    Die Frau wandte sich von ihr ab hob einen dicklichen Arm.
    »Das Grab Ihrer Tante ist da drüben.« Sie marschierte los, und Nightingale folgte ihrem breiten Hinterteil in den Schatten der Kirche. Sie fröstelte.
    »Da.« Der energische Tonfall wurde sanfter. »Ich lasse Sie einen Augenblick allein.«
    Nightingale traute ihren Augen kaum. Der Grabstein war aus graugrünem Marmor und zeigte keinerlei Altersspuren. Es war die Skulptur einer jungen Frau, die auf einem moosbewachsenen Stein kniete, auf dem wilde Stiefmütterchen und Vergissmeinnicht wuchsen. Hinter ihr stand eine zweite Frau, die eine Hand auf ihre Schulter gelegt hatte. Man hätte sie für einen Schutzengel halten können.
    Es gab keine Inschrift als Ausdruck von Trauer über das Ableben ihrer Tante, nur ihren Namen und das Geburts- und Todesdatum. Am Fuß der Skulptur waren die Initialen L.B. eingemeißelt. Nightingale merkte, wie ihr die Tränen kamen.
    »Sie mochten sie wohl sehr?«
    Nightingale blinzelte einmal kräftig, bevor sie sich zu Amelia umdrehte. »Ja. Wir standen uns sehr nahe.«
    »Sie hat Sie über alles geliebt. Wie eine eigene Tochter.«
    »Haben Sie sie gut gekannt?« Es war eine Testfrage. Sie kannte die Antwort bereits durch die Tagebücher und Fotos, aber sie war neugierig, ob die Frau ehrlich antworten würde.
    »Früher einmal sehr gut. Weniger gut, als wir älter wurden. Ich hatte drei Kinder und einen Mann zu versorgen, der immer sehr kränklich war. Ich habe es durchgesetzt, dass das Grabmal aufgestellt wurde. Der Pfarrer war vehement dagegen, aber ohne mich würde er die Gemeindearbeit nicht schaffen, und als ich drohte, in eine andere Kirche zu wechseln, hat er klein beigegeben.«
    »Danke.« Nightingale streckte die Hand aus, um die Frau richtig zu begrüßen. »Ich bin Louise, und ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen.«
    »Dann haben Sie den Namen also behalten, was? Na ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Sie lachte wie über einen Scherz, den nur sie verstand, und ließ Nightingales Hand los. »Möchten Sie noch etwas allein sein?«
    »Nein, nein. Ich werde später noch mal mit Blumen herkommen.«
    Während sie

Weitere Kostenlose Bücher