Crisis
beneide dich beim besten Willen nicht darum, jemanden obduzieren zu müssen, der schon seit fast einem Jahr beerdigt ist. Wie kannst du bloß tagein, tagaus diese Arbeit machen? Ist das nicht eklig?«
»Ich weiß, es hört sich unangenehm an, vielleicht sogar gruselig, aber in Wirklichkeit ist es faszinierend. Ich lerne jeden Tag dazu, und bei mir gibt es keine Problempatienten.«
»Erinnere mich bloß nicht an Problempatienten«, sagte Alexis. »Das ist das beste Beispiel für Selbstzerstörung!«
Jack spürte die Stille des großen Hauses, nachdem Alexis ihm eine gute Nacht gewünscht hatte und die Treppe hinaufgegangen war. Ein paar Minuten dachte er über ihre seltsame Reaktion auf Patience Stanhope nach und darüber, wie bereitwillig sie zugegeben hatte, dass sie froh sei, dass Patience endlich fort war. Sie hatte sogar angedeutet, dass sie glaube, Patience Stanhope sei in irgendeiner Weise dafür verantwortlich, dass Craig ausgezogen war. Jack schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Stattdessen trank er sein Bier aus und ging hinunter in sein Zimmer, um die Prozessakte und sein Handy zu holen. Damit machte er sich auf den Rückweg ins Arbeitszimmer, in dem er versehentlich die Nacht verbracht hatte. Der Raum verströmte eine behagliche, vertraute Atmosphäre.
Nachdem er sich im gleichen Lesesessel niedergelassen hatte, wie am Abend zuvor, klappte Jack sein Handy auf. Die Aussicht, Laurie anzurufen, weckte in ihm zwiespältige Gefühle. Er sehnte sich danach, ihre Stimme zu hören, aber er war nicht gerade darauf erpicht, sich mit ihrem unvermeidlichen Ärger auseinanderzusetzen, wenn er ihr von der möglichen Exhumierung und der anschließenden Autopsie erzählte. Es war schon Dienstagabend, was bedeutete, dass bis Freitag nur noch zwei volle Tage vor ihm lagen. Das zweite Problem war, dass Jack tagsüber Calvin angerufen hatte, um ihm zu sagen, dass er am Mittwoch nicht zur Arbeit kommen und ihn über weitere Entwicklungen auf dem Laufenden halten würde. Womöglich hatte Calvin Laurie gegenüber etwas davon erwähnt, und sie war verschnupft, weil sie es aus zweiter Hand erfahren musste.
Er rutschte tiefer in den Sessel hinein, um es sich so bequem wie möglich zu machen. Dabei glitt sein Blick zu dem Regal an der gegenüberliegenden Wand hinüber, wo er an einer großen, schwarzen, altmodischen Arzttasche hängen blieb, die neben einem tragbaren EKG-Gerät stand.
»Na endlich, der vielbeschäftigte Reisende«, sagte Laurie fröhlich. »Ich hatte gehofft, dass du es wärst.«
Sofort entschuldigte Jack sich dafür, dass er so spät anrief, und erklärte, dass er warten wollte, bis eine Entscheidung gefallen sei.
»Was für eine Entscheidung?«
Jack atmete tief ein. »Eine Entscheidung darüber, ob die Patientin, deren Tod der Auslöser für Craigs Verfahren war, obduziert werden soll.«
»Obduziert?«, fragte Laurie bestürzt. »Jack, es ist Dienstagabend. Am Freitag um halb zwei wollen wir heiraten. Ich brauche dir nicht zu sagen, dass bis dahin nicht mehr viel Zeit bleibt.«
»Ich weiß, dass es etwas knapp wird. Ich denke daran. Mach dir keine Sorgen!«
»Wirst du sie morgen früh obduzieren?«
»Ich glaube eher nicht, aber vielleicht ergibt sich die Möglichkeit ja doch. Das Problem ist, dass die Leiche noch unter der Erde liegt.«
»Jack!«, klagte Laurie und zog seinen Namen in die Länge wie Toffee. »Warum tust du mir das an?«
Er informierte Laurie über alle Einzelheiten des Falls und darüber, was an diesem Tag passiert war. Nur den Zwischenfall mit Franco ließ er aus. Laurie hörte zu und unterbrach ihn nicht ein einziges Mal, bis er fertig war. Dann verblüffte sie ihn, indem sie sagte: »Möchtest du, dass ich hochkomme und dir assistiere?«
Jack wünschte sich, er könne seine Arme über die Entfernung hinweg ausstrecken und sie dankbar an sich ziehen, und antwortete: »Danke für dein Angebot, aber das ist nicht nötig. Es dürfte kein schwieriger Fall werden, wenn nicht zu viel Wasser eingedrungen ist.«
»Sag einfach Bescheid. Ich bin sicher, dass wir es zusammen schnell hinter uns bringen würden.«
Nach etwas liebevollem Smalltalk und dem Versprechen, wieder anzurufen, sobald er mehr wisse, klappte Jack sein Handy zu. Er wollte sich gerade die Prozessakte auf den Schoß legen, als sein Blick erneut auf die Arzttasche fiel. Jack stand auf und ging zum Regal hinüber. Wie er es Alexis gegenüber angedeutet hatte, hielt er Hausbesuche für keine
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