Crisis
alles«, sagte Alexis. Sie hatte Jack erzählt, wie sie und Craig nach der Verhandlungsunterbrechung nach Hause gekommen waren und ihre völlig verängstigten Töchter mit Klebeband gefesselt und geknebelt vorgefunden hatten. Sie hatte langsam gesprochen und ihre Worte bewusst gewählt. Craig hingegen hatte wütend ein paar reißerische Details beigesteuert, zum Beispiel dass Tracy splitternackt aus der Dusche gezerrt und brutal geschlagen worden war.
Jack hatte es die Sprache verschlagen. Er saß auf dem Couchtisch, seiner Schwester und ihrer Familie gegenüber. Während er den Schilderungen lauschte, blickte er von Alexis, die erschüttert, ängstlich und besorgt wirkte, über Craig, der vor Zorn außer sich war, weiter zu den drei schockierten und offensichtlich traumatisierten Kindern. Alle drei saßen schweigend und reglos da. Tracy hatte die Beine unter den Körper gezogen und die Arme vor der Brust verschränkt. Sie trug einen übergroßen Trainingsanzug. Ihr Haar war gekräuselt. Christina und Meghan hatten beide die Arme um die angezogenen Beine geschlungen. Alle drei hatten vom Klebeband wunde, rote Streifen in der unteren Gesichtshälfte. Tracys Lippe war aufgeplatzt.
»Seid ihr drei okay?«, fragte Jack die Kinder. Es sah so aus, als sei nur Tracy misshandelt worden, und zum Glück schien es nur eine kleinere Verletzung zu sein.
»Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut«, sagte Alexis.
»Wie sind sie reingekommen?«
»Sie haben die Hintertür aufgebrochen«, versetzte Craig scharf. »Das waren offensichtlich Profis.«
»Ist irgendetwas gestohlen worden?«, fragte Jack. Auf der Suche nach Schäden ließ er den Blick durch den Raum wandern, aber alles schien unversehrt zu sein.
»Nicht, soweit wir erkennen können«, antwortete Alexis.
»Was wollten sie dann?«, fragte Jack.
»Es war eine Botschaft«, sagte Alexis. »Sie haben Tracy befohlen, uns eine Botschaft auszurichten.«
»Was denn?«, fragte Jack ungeduldig, als Alexis nicht näher darauf einging.
»Keine Autopsie«, platzte Craig heraus. »Die Botschaft lautete, keine Autopsie, oder sie würden wiederkommen und den Kindern etwas antun.«
Jacks Blick schoss zwischen Craig und Alexis hin und her. Er konnte nicht glauben, dass sein Hilfsangebot zu einer solchen Situation geführt hatte. »Das ist doch verrückt«, stieß er hervor. »Das kann doch einfach nicht sein.«
»Sag das mal den Kindern!«, versetzte Craig herausfordernd.
»Es tut mir leid«, sagte Jack. Er wandte den Blick ab. Er war fassungslos, dass er diese Katastrophe heraufbeschworen hatte. Kopfschüttelnd sah er die Bowmans an. »Na gut, dann eben keine Autopsie!«
»Wir sind uns nicht sicher, ob wir uns dieser Erpressung beugen wollen«, entgegnete Alexis. »Trotz dem, was vorgefallen ist, schließen wir eine Obduktion nicht kategorisch aus. Wenn jemand so weit geht, Kinder zu bedrohen, um die Autopsie zu verhindern, erscheint uns das als ein Grund mehr, sie durchzuführen.«
Jack nickte. Dieser Gedanke war ihm auch gekommen, aber er hatte kein Recht, Tracy, Meghan und Christina noch weiter in Gefahr zu bringen. Außerdem war Tony Fasano der Einzige, der ihm als Täter in den Sinn kam, und dessen Motiv konnte nur Angst um sein Erfolgshonorar sein. Jack musterte Craig, dessen Zorn sich inzwischen offenbar ein wenig gelegt hatte.
»Wenn es nur das geringste Risiko birgt, bin ich dagegen«, sagte Craig. »Aber wir glauben, wir können das Risiko ausschalten.«
»Habt ihr die Polizei gerufen?«, fragte Jack.
»Nein«, antwortete Alexis. »Das war der zweite Teil der Botschaft: keine Autopsie, keine Polizei.«
»Ihr müsst die Polizei rufen«, beharrte Jack, doch seine Worte klangen hohl, da auch er weder seine Auseinandersetzung mit Fasano und Konsorten vom Vortag noch seinen Zusammenstoß mit Franco vor einer halben Stunde angezeigt hatte.
»Wir sind gerade dabei, alle Möglichkeiten durchzugehen«, erklärte Craig. »Wir haben alles mit den Mädchen besprochen. Sie werden ein paar Tage zu ihren Großeltern fahren, bis der Prozess abgeschlossen ist. Meine Eltern leben oben in Lawrence, Massachusetts, und sie sind schon auf dem Weg hierher, um sie abzuholen.«
»Ich werde sie wahrscheinlich begleiten«, sagte Alexis.
»Das brauchst du nicht, Mom«, sagte Tracy. Es waren ihre ersten Worte. »Bei Grandpa und Grandma sind wir bestimmt gut aufgehoben.«
»Niemand wird wissen, wo die Mädchen sind«, erklärte Craig. »Sie werden mindestens für den Rest der Woche
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