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Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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dass von Portugal bis nach Indien eine Insel auf die andere folgte; dass sie auf diese Weise eine Furt bildeten; und dass man den Ozean daher ebenso leicht überqueren konnte wie einen Fluss.
    Indem man von Fels zu Fels sprang.
    Er hatte von Madeira gehört und von ihrer kleinen Schwester Porto Santo. Er hatte die südlicher gelegenen Inseln der Glückseligen besucht.
    Und was kam danach, Richtung Westen? Meine Aufgabe war es herauszufinden, wie die Furt weiterging.
    Ich vertiefte mich in die zahlreichen Reiseberichte, die ebenso viele Legenden sind. Eine Woche genügte, um festzustellen, dass meine Aufgabe nicht zu lösen war. Ich warnte Cristóbal:
    «Die Inseln sind noch zahlreicher als das Volk der Vögel, und man bekommt sie noch weniger zu fassen.»
    Er antwortete mir, dass ich ihm, was die Zahl anging, nichts sage, was er nicht schon von Ptolemäus und Marco Polo wisse, und dass diese Vielzahl Gutes bedeute: Je mehr Zufluchtsorte es gebe, umso ungefährlicher sei die Überfahrt. Doch wie sei ich eigentlich auf die seltsame Idee gekommen, man könne die Inseln nicht erfassen? Sie rühre bestimmt von meiner Faulheit her, die sich immer zeige, wenn man mir eine etwas kniffligere Aufgabe gebe.
    Der Fortgang unseres Gesprächs wirft ein Licht auf den ebenso verrückten wie schönen Charakter meines Bruders, der Hauptgrund, weswegen er so große, für den Rest der Sterblichen unerreichbare, ja nicht einmal vorstellbare Pläne verfolgte.
    Als ich ihm geduldig erklärte, dass kein auf Wahrheit bedachter Kartograph ein zuverlässiges und genaues Verzeichnis von Inseln erstellen könne, weil diese meistens der Phantasie entsprungenseien, sah er mich verständnislos an und sprach dann die folgenden Worte, die ich für seine Devise halte:
    «Ja, und? Woher kommen denn die Phantasiegebilde, wenn nicht von einem Land, das wir noch nicht kennen?»
    Ich machte mich wieder an die Arbeit, ohne mich weiter um die Wirklichkeitstreue dessen zu kümmern, was ich vorantrieb. Es kam mir vor, als träte ich immer mehr in die Fußstapfen unseres Vaters. Er hatte die Angewohnheit gehabt, uns samstagsabends zum Einschlafen abenteuerliche Geschichten zu erzählen, die unsere Träume bevölkerten und die Messe am nächsten Tag glanzlos und trübselig aussehen ließen.
    Ich ahmte seine Methode nach. Mein Bruder und ich teilten ein Zimmer, das Andrea uns vermietete, und ich wartete abends, bis wir uns hingelegt und die Kerzen gelöscht hatten.
    «Wusstest du, dass Roderich der letzte Westgotenkönig Spaniens war? So lange er auch Widerstand leistete, zuletzt wurde er doch 711 vom arabischen Heerführer Tariq ibn Ziyad geschlagen. Seitdem besetzten die Muslime die gesamte Halbinsel, einschließlich Portugal. Da sie es nicht ertrugen, unter dieser Herrschaft zu leben, versuchten zahlreiche Christen zu fliehen. So stach der Bischof von Porto in See, begleitet von sechs anderen Würdenträgern und einer Menge Gläubiger. Lange folgten sie deiner künftigen Route und segelten nach Westen. Es heißt, sie hätten sich weit über die Azoren hinausgewagt. Das Land, das schließlich am Horizont auftauchte, nannten einige
Ante Ilia,
die Insel voraus, woraus bald
Antilia
wurde. Andere tauften es
Insel der Sieben Städte,
denn jeder Bischof hatte dort eine Stadt gegründet.»
    Cristóbal konnte von dieser Legende nicht genug bekommen und bat mich, niemals zufriedengestellt, um immer neue und immer genauere Einzelheiten. Da ich keine kannte, erfand ich welche. Um mir meine idyllischen Beschreibungen zu erleichtern, hatte ich eine Karte gezeichnet. Ich hatte sie immer bei mir wie einen Talisman. Warum hänge ich noch immer so an dieser Papierinsel,die allein meiner Vorstellungskraft entsprungen ist, folglich jeglicher Realität entbehrt und die heute schmutzig, zerschlissen, ja fast unlesbar ist? Jedes Mal, wenn ich sie betrachte, und das tue ich regelmäßig, wird mir schwindelig von der Ähnlichkeit: Hispaniola gleicht Strich für Strich jenem Antilia, das ich erträumt hatte.
    Die andere Lieblingsgeschichte von Cristóbal war die Geschichte vom heiligen Brendan.
    Diese Geschichte war eine Erholung für mich, denn ich musste sie nicht erzählen. Ein gewisser Benedeit hatte sie im 12. Jahrhundert aufgeschrieben, ich musste nur vorlesen und den Ton anschlagen, der Legenden gebührt – eintönig und von fern her, wie verwittert:
    Der heilige Brendan, dieser Diener Gottes, war von königlicher Abstammung und Ire von Geburt. Weil er aus königlichem Hause

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