Cristóbal
lassen, auch wenn es vorkam, dass sie aus geschäftlichen Zwängen heraus genauso handelten und ihre Erzeugnisse einer unzulässigen Kundschaft anboten.
Sie unterschätzten die Spione des Königs.
Allein das Jahr 1483 forderte unter den Kartographen fünfzehn brutal vom Schädel abgetrennte Ohren. Die Fähigkeit meiner Zunftbrüder, für ihre plötzliche Verstümmelung Gründe zu erfinden, gab mir einen tiefen Einblick in die Doppelnatur des Menschen.Diese Männer, die ein Vermögen dafür hergaben, eine Küstenlinie um ein Fitzelchen Wahrheit zu verbessern, konnten plötzlich schamlos lügen. Niemand wollte zugeben, was ihm widerfahren war. Ich hörte sogar einen der Meister unseres Berufs behaupten – erlaubt mir, dass ich seinen Namen verschweige –, er habe bei einem schlimmen Leprarückfall beide Ohren gleichzeitig verloren.
Der
Sigila,
dem Geheimwissen, genügten diese Verurteilungen nicht, auch wenn sie in der Stadt immer sichtbarer wurden. Sie forderte von König Alfons V. eine Verschärfung der Strafen und erreichte diese schließlich unter seinem Nachfolger Johann II.
Die
Sigila
glaubte, unbesorgt sein zu können. Fortan wurde der geringste Verstoß gegen die Geheimhaltung von Seekarten mit dem Strang bestraft.
Hast du gut zugehört, Las Casas? Hast du deine Lehren aus meinem Bericht gezogen? Vor allem glaube nicht, dass die Entfernung dich schützt. Die Tatsache, dass zwischen uns und Lissabon mit seinen grausamen Praktiken der Ozean liegt, schützt dich nicht im Geringsten. Vergiss nicht, dass hier, genau über unseren Köpfen, der Vizekönig wohnt und dass er mein Neffe ist. Wenn du etwas ausplauderst, was ich dir anvertraue, werde ich Maßnahmen ergreifen, und du wirst schnell eine sehr unangenehme Leere an der einen oder der anderen Seite deines Schädels fühlen.
Die
Sigila
war die wichtigste Behörde Portugals. Man begnügte sich nicht damit, die Schleichhändler verbotener Informationen zu verfolgen, unaufhörlich durchkämmten und durchwühlten die Beamten der
Sigila
die Stadt. Unangekündigt betraten sie unsere Werkstätten und führten Hausdurchsuchungen durch:
«Und das hier ist alles?»
Das war ihre Losung. Oder wenn sie die Wut packte, weil sie nichts gefunden hatten:
«Versteckst du auch nichts vor dem König?»
Ich muss es besser erklären.
Im Innern des Palastes befand sich das Herzstück der
Sigila,
besser bewacht als jeder andere Schatz der Welt lagerte dort das gesamte Wissen, das über die Entdeckungen seit der ersten, von Heinrich dem Seefahrer finanzierten Reise gesammelt worden war.
Mit anderen Worten: eine Karte, die Perfekte Karte, genannt
Padr
ã
o Real,
das königliche Verzeichnis.
Niemand durfte die Perfekte Karte sehen. Die Amtsdiener der
Sigila
wachten gewissenhaft über sie. Und diese Perfekte Karte speiste sich aus all den anderen Karten, die täglich in Lissabon hergestellt wurden. Wie wäre sie sonst perfekt geblieben, wenn sie die Fortschritte des Wissens nicht stets im Gleichschritt mit den Entdeckungen verzeichnet hätte?
Die Perfekte Karte war ein gefräßiges Ungeheuer. Sie forderte täglich ihre Kost.
Die Notare, die auf jedem Schiff mitreisten, überbrachten ihr einen Teil davon. Ich habe es schon erzählt: Wenn die Karavellen anlandeten, gingen die Notare als Erste von Bord und überbrachten dem König ihre Verzeichnisse.
Doch die Perfekte Karte konnte nicht genug bekommen. Wer hätte auch je ein sattes Monster gesehen? Die Perfekte Karte konnte nicht zulassen, dass es einige Kartographen gab, die Erkenntnisse für sich behielten. Auch wenn sie diese an niemand anderen weitergaben, machten sie sich der Hehlerei schuldig und verdienten es, bestraft zu werden.
Wie ich gerade durch dich erfahren habe, Las Casas, haben die Spanier das System der Perfekten Karte kopiert. Und verfeinert.
Offenbar werden auch in Spanien alle königlichen Karten in einer Truhe aufbewahrt, die sich nur mit zwei zur selben Zeit im Schloss gedrehten Schlüsseln öffnen lässt. Einen von beiden verwahrt der
Piloto Mayor,
der Oberste Marinebeauftragte; den anderen der
Cosmographo Mayor,
der Oberste Geograph des Königs. Und alle Karten beruhen auf einer Musterkarte,
El PadrónReal,
die in Sevilla in einem Keller der
Casa de Contrataci
ó
n de Indias
versteckt wird.
Diese Nachricht freut mich und hat mir wieder Kraft gegeben, meinen Bericht fortzusetzen. Das Königreich Portugal hat also Schule gemacht. Und diejenigen, die dort zusammengeströmt waren, um
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