Cronin, Justin
bereitgelegt, damit er ihr in die Augen
leuchten könnte, wenn sie sie öffnete. Ein Überfall - aber was blieb ihm
übrig?
Sie schüttelte heftig den Kopf und wich vor ihm
zurück.
»Amy, es muss sein. Du musst tapfer sein.
Bitte.«
Sie sträubte sich noch ein Weilchen, aber
schließlich gab sie nach. Er konnte ihre Hände herunterziehen, und sie öffnete
die Augen einen winzigen Spaltbreit, schloss sie jedoch gleich wieder.
»Es ist so hell!«, weinte sie. »Es tut weh!«
Er schlug ihr eine Abmachung vor: Er würde bis
drei zählen, und dann würde sie die Augen öffnen und sie offen halten, bis er
noch einmal bis drei gezählt hätte.
»Eins«, fing er an. »Zwei ... drei«!
Sie öffnete die Augen, und jeder Muskel in ihrem
Gesicht war angespannt vor Angst. Wolgast begann zu zählen und leuchtete ihr
ins Gesicht. Kein Glas, keine Spur einer sichtbaren Verletzung: Ihre Augen
waren unversehrt.
»Drei!«
Sie schloss die Augen wieder, zitternd und
schluchzend.
Er bestrich ihr Gesicht mit einer Brandsalbe aus
dem Erste-Hilfe-Kasten, verband ihr die Augen mit einer elastischen Binde und
trug sie hinauf in ihr Bett. »Deine Augen sind bald wieder in Ordnung«,
versprach er ihr, ohne zu wissen, ob es stimmte. »Ich glaube, das ist nur
vorübergehend, weil du in den Blitz geschaut hast.« Eine Zeitlang blieb er
noch bei ihr sitzen, bis sie gleichmäßig atmete und er wusste, dass sie eingeschlafen
war. Sie sollten verschwinden, dachte er, und ein bisschen Abstand zwischen
sich und die Explosion bringen. Aber wohin sollten sie gehen? Zuerst der
Waldbrand, dann der Regen - die Straße, die vom Berg hinunterführte, war fast
vollständig weggespült. Sie konnten es zu Fuß versuchen, doch wie weit würden
sie kommen? Er konnte selbst kaum gehen und musste ein blindes Mädchen durch
den Wald führen. Da blieb nur die Hoffnung, dass die Explosion klein oder
weiter entfernt gewesen war, als er annahm, und dass der Wind den radioaktiven
Fallout in die andere Richtung treiben würde.
Im Erste-Hilfe-Kasten fand er eine kleine
Nähnadel und eine Rolle schwarzes Garn. Eine Stunde vor dem Morgengrauen ging
er die Treppe hinunter in die Küche. Er setzte sich an den Tisch, und im
Schein der Lampe entfernte er das verknotete Geschirrtuch und seine
blutgetränkte Hose. Die Schnittwunde war tief, aber bemerkenswert sauber. Die
Haut sah aus wie das aufgerissene Wachspapier an einem blutroten Steak. Er
hatte schon Knöpfe angenäht und einmal auch eine Hose gesäumt. Wie schwierig
konnte es sein? Aus dem Schrank über der Spüle holte er die Flasche Scotch, die
er vor all den Monaten bei Milton's gefunden hatte, und goss sich ein Glas ein.
Dann setzte er sich hin und stürzte den Whisky herunter; er legte den Kopf in
den Nacken und trank, ohne etwas zu schmecken. Er schenkte sich ein zweites
Glas ein und trank es aus. Dann stand er auf, wusch sich am Spülbecken in aller
Ruhe die Hände und trocknete sie mit einem Lappen ab. Er setzte sich wieder
hin, knüllte den Lappen zusammen und klemmte ihn zwischen die Zähne. Er fädelte
das Garn ein, nahm die Scotchflasche in die eine Hand und die Nadel in die
andere. Wenn er nur mehr Licht hätte. Er holte tief Luft und hielt den Atem an.
Dann goss er den Scotch auf die Wunde.
Wie sich herausstellte, war dies der schlimmste
Teil. Danach war das Nähen der Wunde fast gar nichts.
Er wachte auf und stellte fest, dass er mit dem
Kopf auf der Tischplatte geschlafen hatte. Es war eisig kalt in der Küche, und
ein merkwürdiger, chemischer Geruch hing in der Luft, wie von brennenden
Autoreifen. Draußen fiel grauer Schnee. Mit seinem verbundenen, vor Schmerzen
pochenden Bein humpelte Wolgast hinaus auf die Veranda. Es war kein Schnee, sah
er - es war Asche. Er stieg die Stufen hinunter. Asche fiel auf sein Gesicht
und in sein Haar. Seltsam, aber er hatte keine Angst, nicht um sich und nicht einmal
um Amy. Es war ein Wunder. Er hob das Gesicht, um sie zu empfangen. Die Asche
war voller Menschen, wusste er. Es regnete die Asche von Seelen.
Er hätte mit ihr in den Keller ziehen können,
aber das kam ihm sinnlos vor. Die Strahlung würde überall sein - in der Luft,
die sie atmeten, in dem Essen, das sie zu sich nahmen, in dem Wasser, das aus
dem See in die Pumpe floss. Sie blieben im oberen Stockwerk, wo zumindest die
Sperrholzplatten vor den Fenstern ein wenig Schutz boten. Nach drei Tagen, als er
Amy den Verband abnahm - und sie konnte wieder sehen, wie er es versprochen
hatte -,
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