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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Haus!«
    »Ganz recht, Kleine.« Der Mann hob die blutige
Hand und winkte nachlässig. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den
Mund. »Tu, was dein Daddy sagt.«
    »Amy, ich habe gesagt, du sollst ins Haus gehen, sofort!«
    Amy schloss die Tür.
    »Gut so«, sagte der Mann. Er lag auf den Knien
und sah zu Wolgast herauf. »Sie sollte so was nicht sehen. Mein Gott, mir
geht's beschissen.«
    »Wie haben Sie uns gefunden?«
    Der Mann schüttelte den Kopf und spuckte in den
Schnee. »Ich hab Sie nicht gesucht, wenn Sie das meinen. Wir hatten uns zu
sechst verkrochen, ungefähr vierzig Meilen weit westlich von hier. In der Jagdhütte
eines Freundes. Da waren wir seit Oktober, nachdem sie Seattle plattgemacht
hatten.«
    »Wer ist >siemit Seattle passiert?«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Dasselbe wie
überall. Alle sind krank oder sterben und reißen sich gegenseitig in Fetzen,
das Militär rollt an, und rumms! Alles geht in Flammen auf. Manche Leute sagen,
das sind die UN oder die Russen. Was weiß ich - vielleicht ist es auch der Mann
im Mond. Wir sind nach Süden gefahren, ins Gebirge; da wollten wir überwintern
und dann versuchen, uns nach Kalifornien durchzuschlagen. Und dann kamen diese
Bestien. Keiner von uns hat auch nur einen Schuss abfeuern können. Ich bin
abgehauen, aber eine von ihnen hat mich gebissen. Das Biest kam aus dem Nichts
auf mich runter. Ich weiß nicht, warum sie mich nicht umgebracht hat wie die
andern, aber so machen sie das, hab ich gehört.« Er lächelte matt. »Ich
schätze, ich hatte meinen Glückstag.«
    »Ist Ihnen jemand gefolgt?«
    »Was weiß ich? Ich hab Ihren Rauch gerochen,
schon eine Meile von hier. Keine Ahnung, wieso ich das konnte. Einfach so.« Er
hob den Kopf, sein Blick war herzbewegend. »Um Gottes willen. Ich flehe Sie an.
Ich würde es selbst tun, wenn ich eine Pistole hätte.«
    Es dauerte einen Moment, bis Wolgast verstand,
worum der Mann ihn bat. »Wie heißen Sie?«
    »Bob.« Der Mann fuhr sich mit einer dicken,
trockenen Zunge über die Lippen. »Bob Saunders.«
    Wolgast wedelte mit der Springneid. »Wir müssen
ein Stück weg vom Haus.«
    Sie gingen in den Wald. Wolgast folgte dem Mann
mit fünf Schritten Abstand. Im tiefen Schnee kam der Mann nur langsam voran.
Alle paar Schritte blieb er stehen, stützte die Hände auf die Knie und atmete
schwer.
    »Wissen Sie, was komisch ist?«, fragte er. »Ich
war Versicherungsanalytiker. Leben und Unfallrisiko. Sie rauchen, Sie fahren
ohne Sicherheitsgurt, Sie essen jeden Tag einen Big Mac zum Lunch, und ich
konnte Ihnen so ziemlich auf den Monat genau sagen, wann Sie sterben.« Er
klammerte sich an einen Baum, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Aber
ich glaube, über das hier hat kein Mensch Tabellen geführt, oder?« Wolgast
antwortete nicht.
    »Sie werden's doch tun, ja?« Bob schaute
zwischen den Bäumen hindurch in die andere Richtung. »Ja«, sagte Wolgast. »Es
tut mir leid.«
    »Ist schon in Ordnung. Machen Sie sich keine
Vorwürfe.« Er atmete schwer und leckte sich die Lippen. Dann drehte er sich um
und berührte sein Brustbein, wie Carl es vor all den Monaten getan hatte, um
Wolgast zu zeigen, wohin er schießen sollte. »Genau hierhin, okay? Sie können
mir zuerst in den Kopf schießen, wenn Sie wollen, aber jagen Sie mir auf jeden
Fall eine Kugel hier hinein.«
    Wolgast konnte nur nicken. Die Offenheit des
Mannes, sein sachlicher Tonfall verschlugen ihm die Sprache. »Es wird schnell
gehen«, sagte er dann.
    »Sie können Ihrer Tochter sagen, ich hätte eine
Waffe gezogen«, fuhr der Mann fort. »Sie darf nichts davon erfahren. Und
verbrennen Sie meine Leiche. Benzin, Kerosin, irgendwas Brennbares.«
    Sie näherten sich der Böschung oberhalb des
Flusses. Vom bläulichen Mondlicht übergossen, war die Landschaft von unirdischer
Stille. Unter Schnee und Eis hörte Wolgast das leise Gurgeln des Wassers. Die
Stelle ist so gut wie jede andere, dachte Wolgast.
    »Drehen Sie sich um«, sagte er. »Sehen Sie mich
an.«
    Aber Bob schien ihn nicht zu hören. Er ging zwei
Schritte weiter durch den Schnee und blieb stehen. Unerklärlicherweise hatte er
angefangen, sich auszuziehen. Erst warf er seinen blutigen Parka in den
Schnee; dann nahm er die Träger seiner Schneehose ab und zog sein Sweatshirt
aus.
    »Ich habe gesagt, Sie sollen sich umdrehen.«
    »Wissen Sie, was mir stinkt?«, sagte Bob. Er
hatte sein Thermo-Unterhemd abgelegt und kniete sich hin, um seine

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