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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Bereich hinter dem Tisch, an dem sie
spielten, lag im Dunkeln wie die verborgenen Bereiche einer Bühne.
    Wolgast überkam die irrationale Angst, dass es
dem Baby schaden könnte, was sie taten. »Wir müssen aufhören«, sagte er
eindringlich, »es ist gefährlich.« Aber sie schien ihn nicht zu hören. Er
würfelte, schob seine Figur weiter und landete auf dem Feld mit dem
Polizisten, der in seine Trillerpfeife stieß. »Gehen Sie ins Gefängnis«, sagte
Lila und lachte. »Gehen Sie direkt dorthin.« Dann stand er auf und fing an, sie
auszuziehen. »Das ist okay«, sagte sie. »Du kannst mich küssen, wenn du
willst. Bob wird nichts dagegen haben.«
    »Warum wird er nichts dagegen haben?«, fragte
er. »Weil er tot ist«, sagte Lila. »Wir sind alle tot.«
    Er schreckte aus dem Schlaf und spürte, dass er
nicht allein im Zimmer war. Er drehte sich um und sah Amy, die mit dem Rücken
zu ihm vor dem breiten Fenster zum See stand. Im Schein des Ofens sah er, wie
sie die Hand hob und die Scheibe berührte. Er stand auf.
    »Amy? Was ist?«
    Er wollte zu ihr gehen, als ein blendendes
Licht, gewaltig und rein, das Fenster erfüllte, und der Augenblick gefror: Wie
ein Fotoapparat empfing sein Gehirn ein Bild von Amy und hielt es fest, als sie
die Hände gegen das Licht hob, den Mund aufriss und vor Entsetzen schrie. Ein
Windstoß ließ das Haus erzittern, und mit einem alles erschütternden Krachen
barst die Fensterscheibe ins Zimmer. Wolgast wurde von den Beinen gerissen und
zurückgeschleudert.
    Eine Sekunde später, fünf, zehn: Die Zeit fügte
sich wieder zusammen. Wolgast kauerte auf Händen und Knien an der Wand. Überall
lag Glas auf dem Boden, tausend Scherben, deren Kanten funkelten wie verstreute
Sterne in dem fremdartigen Licht, das den Raum durchflutete.
    »Amy!«
    Sie lag auf dem Boden. Er sprang auf und lief zu
ihr. »Hast du dich verbrannt? Geschnitten?«
    »Ich kann nichts sehen, ich kann nichts sehen!«
Sie schlug wild um sich und fuchtelte in formloser Panik mit den Armen vor
ihrem Gesicht herum. Sie war übersät von glitzernden Glassplittern, ihr Gesicht
und ihre Arme waren voll davon. Blut durchtränkte ihr T-Shirt, als er sich über
sie beugte und versuchte, sie zu beruhigen.
    »Bitte, Amy, halt still! Ich muss sehen, ob du
verletzt bist.«
    Sie entspannte sich in seinen Armen. Behutsam
wischte er die Glass plitter weg.
Er konnte keine Schnittwunde entdecken. Das Blut, begriff er, war sein eigenes.
Woher kam es? Er schaute an sich herunter und sah eine lange Scherbe, gebogen
wie ein Krummsäbel, die in seinem linken Bein steckte, auf halber Höhe zwischen
Knie und Leiste. Er zog daran und das Glas glitt sauber und schmerzlos heraus.
Drei Zoll Glas in seinem Bein. Warum hatte er nichts davon gespürt? Adrenalin?
Aber kaum hatte er daran gedacht, als der Schmerz kam - wie ein verspäteter
Zug, der donnernd in den Bahnhof einfuhr. Lichtpunkte tanzten vor seinen Augen,
und eine Woge der Übelkeit rollte über ihn hinweg. »Ich kann nichts sehen,
Brad! Wo bist du?«
    »Ich bin hier, ich bin hier.« Ihm war schwindlig
vor Schmerzen. Konnte man an einem solchen Schnitt verbluten? »Du musst
versuchen, die Augen zu öffnen.«
    »Ich kann nicht! Es tut weh!«
    Verblitzt, dachte er. Eine Netzhautverbrennung,
weil sie ins Zentrum der Explosion geschaut hatte. Nicht Portland oder Salem,
nicht mal Corvallis. Die Explosion hatte genau im Westen stattgefunden. Ein
verirrter Nuklearsprengkopf, dachte er, aber von wem? Und wie viele gab es noch
davon? Was konnten sie bewirken? Nichts, dachte er; es war nur eine weitere
krampfhafte Zuckung einer Welt, die unter Qualen unterging. Er begriff
plötzlich, dass er sich in der falschen Hoffnung gewiegt hatte, das Schlimmste
liege hinter ihnen, und es würde doch noch alles gut werden - das hatte er
gedacht, als er in die Sonne hinausgetreten war und den Frühling gerochen
hatte. Wie töricht er gewesen war.
    Er trug Amy in die Küche und zündete die Lampe
an. Die Fensterscheibe über der Spüle hatte irgendwie gehalten. Er setzte sie
auf einen Stuhl und band ein altes Geschirrtuch um sein verletztes Bein. Amy
weinte und presste die Handflächen an die Augen. Die Haut in ihrem Gesicht und
an den Armen, die dem Blitz ausgesetzt gewesen war, war leuchtend rosa und fing
schon an, sich zu schälen.
    »Ich weiß, es tut weh«, sagte er, »aber du musst
die Augen aufmachen. Ich muss sehen, ob Glassplitter hineingekommen sind.« Er
hatte eine Taschenlampe auf dem Tisch

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