Cronin, Justin
Richards.
»Die Fahrt war hoffentlich nicht zu übel«, sagte
Richards, als sie sich die Hand schüttelten. Aus der Nähe sah Wolgast, dass
seine Wangen von alten Aknenarben übersät waren. »Wir sind hier ziemlich hoch.
Wenn Sie nicht daran gewöhnt sind, sollten Sie es langsam angehen.«
Richards begleitete Wolgast über den Parkplatz
zu einem Gebäude, das er das »Chalet« nannte: ein riesiger, vornehmer, alter
Kasten mit drei Stockwerken und dem freiliegenden Balkengerüst einer altmodischen
Jagdhütte. Früher waren die Berge voll von solchen Häusern gewesen, wusste
Wolgast - von wuchtigen Überbleibseln einer Ära, in der es noch keine
Timeshare-Apartments und modernen Ferienanlagen gegeben hatte. Vor dem Gebäude
lag eine Rasenfläche, und dahinter, ungefähr hundert Meter weiter, stand eine
Ansammlung von eher alltäglichen Bauten: Hohlblockbaracken, ein halbes Dutzend
Militärzelte, ein flaches, gestrecktes Gebäude, das aussah wie ein
Highway-Motel. Militärfahrzeuge, Humvees und kleinere Jeeps und Fünftonner,
fuhren auf und ab, und mitten auf dem Rasen lag eine Gruppe von Männern, nackt
bis zur Taille, mit breiten Schultern und Bürstenhaarschnitten in Liegestühlen
in der Sonne.
Als sie das Chalet betraten, hatte Wolgast das
verwirrende Gefühl, hinter eine Filmkulisse zu schauen: Das Haus schien bis auf
das Fachwerkgerüst ausgekernt und die ursprüngliche Architektur durch die
neutralen Strukturen eines modernen Bürogebäudes ersetzt worden zu sein: graue
Teppichböden, Einheitsbeleuchtung und abgehängte, mit Akustikplatten
verkleidete Decken. Er fühlte sich an eine Zahnarztpraxis erinnert, oder an
das Hochhaus neben der Autobahn, wo er einmal im Jahr seinen Steuerberater
aufsuchte. Sie blieben an der Empfangstheke stehen. Richards forderte ihn auf,
seinen BlackBerry und seine Waffe abzugeben, und er gab beides dem
Wachhabenden, einem Jungen im Tarnanzug, der es registrierte. Es gab einen
Aufzug, aber Richards ging daran vorbei und führte Wolgast durch einen schmalen
Korridor zu einer schweren Stahltür, hinter der ein Treppenhaus lag. Sie
gingen in den ersten Stock hinauf, und durch einen weiteren nichtssagenden
Korridor kamen sie zu Sykes' Büro.
Sykes stand hinter seinem Schreibtisch auf, als
sie eintraten: ein großer, ansehnlicher Mann in Uniform mit den diversen
Streifen und kleinen farbigen Stücken auf der Brust, die Wolgast noch nie
hatte deuten können. Das Büro war picobello; sämtliche Gegenstände bis hin zu
den gerahmten Fotos auf dem Schreibtisch erweckten den Eindruck, als seien sie
unter dem Gesichtspunkt maximaler Effizienz an ihren Platz gestellt worden.
Mitten auf Colonel Sykes' Schreibtisch lag eine einzelne braune Akte, dick von
zusammengefalteten Blättern. Wolgast war beinahe sicher, dass es seine
Personalakte war - oder zumindest eine Kopie davon.
Sie gaben sich die Hand, und Sykes bot ihm einen
Kaffee an. Wolgast nahm ihn an. Er war nicht schläfrig, aber er wusste, dass
das Koffein gegen die Kopfschmerzen helfen würde.
»Entschuldigen Sie den Bullshit mit dem Van.«
Sykes deutete auf einen Stuhl. »So arbeiten wir einfach.«
Ein Soldat brachte den Kaffee herein - eine
Plastikkanne und zwei Porzellantassen auf einem Tablett. Richards blieb hinter
Sykes' Schreibtisch stehen, vor dem breiten Fenster, das einen Ausblick auf
das Waldland rings um das Gelände bot. Sykes erklärte Wolgast, was er von ihm
wollte. Es war alles ganz unkompliziert, und inzwischen wusste Wolgast in
groben Zügen, worum es ging: Die Army brauchte zwischen zehn und zwanzig
Todeskandidaten für die dritte Phase einer Versuchsreihe, bei der eine
Medikamententherapie mit dem Codenamen Projekt NOAH getestet werden sollte. Für
ihre Zustimmung würde man ihr Todesurteil in eine lebenslange Haftstrafe ohne
Bewährung umwandeln. Wolgasts Aufgabe wäre es, die Unterschriften dieser Männer
zu beschaffen, weiter nichts. Alles war juristisch abgesichert, weil das
Projekt jedoch streng geheim war, würden alle diese Männer offiziell für tot
erklärt werden. Nachher würden sie den Rest ihres Lebens mit einer neuen
Identität im Gewahrsam der Bundesjustiz in einem der besseren Gefängnisse des
Landes verbringen. Die Auswahl der Männer würde aufgrund mehrerer Faktoren
getroffen werden, aber sie alle würden zwischen zwanzig und fünfundzwanzig
Jahren alt sein und keine lebenden Verwandten ersten Grades haben. Wolgast wäre
Sykes unmittelbar unterstellt und würde mit niemandem sonst Kontakt haben,
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