Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
anrufst, um mir zu
erzählen, dass du in Texas bist. Oder?«
    »Entschuldige. Ich hätte dich nicht wecken
sollen. Ich glaube, David findet es gar nicht gut.«
    Lila seufzte ins Telefon. »Oh, das ist schon in
Ordnung. Wir sind ja immer noch Freunde, oder? David ist ein großer Junge. Er
kommt damit zurecht.«
    »Ich habe deine E-Mail bekommen.«
    »Ja.« Er hörte sie atmen. »Habe ich mir
irgendwie gedacht. Ich nehme an, deshalb rufst du an. Ich dachte mir schon,
dass ich irgendwann von dir hören würde.«
    »Hast du es getan? Geheiratet?«
    »Ja. Letztes Wochenende, hier zu Hause. Nur mit
ein paar Freunden. Meinen Eltern. Sie haben übrigens nach dir gefragt, wollten
wissen, wie es dir geht. Sie haben dich immer wirklich gemocht. Du solltest sie
anrufen, wenn du Lust hast. Ich glaube, mein Dad vermisst dich mehr als
irgendjemand sonst.«
    Er ließ die Bemerkung hingehen. Mehr als
irgendjemand sonst? Mehr als du, Lila? Er wartete darauf, dass sie noch etwas
sagte, aber das tat sie nicht, und ein Bild entstand vor seinem geistigen Auge
und füllte das Schweigen aus, ein Bild, das eher eine Erinnerung war: Lila im
Bett, in einem alten T-Shirt und den Socken, die sie immer trug, weil sie zu jeder
Jahreszeit kalte Füße bekam, und mit einem Kissen zwischen den Knien, um die
Wirbelsäule zu strecken, wegen des Babys. Ihr Baby. Eva.
    »Ich wollte dir nur sagen, dass ich es tue.«
    Lilas Stimme wurde leise. »Du tust was, Brad?«
    »Ich ... ich freue mich für dich. Wie du es
wolltest. Ich dachte mir, du solltest ... weißt du, diesmal deinen Job
aufgeben. Nimm dir ein bisschen Zeit, pass besser auf dich auf. Weißt du, ich
hab mich immer gefragt, ob ...«
    »Das werde ich«, unterbrach Lila ihn. »Keine
Sorge. Alles in Ordnung, alles normal.«
    Normal. Normal, dachte er, war alles eben nicht.
»Ich dachte nur ...«
    »Bitte.« Sie holte tief Luft. »Du machst mich
traurig. Ich muss morgen früh aufstehen.«
    »Lila ...«
    »Ich habe gesagt, ich muss jetzt Schluss
machen.«
    Er wusste, dass sie weinte. Sie gab keinen Laut
von sich, der es ihm verriet, aber er wusste es. Sie dachten beide an Eva, und
der Gedanke an Eva würde sie zum Weinen bringen. Darum waren sie nicht mehr zusammen
und konnten es auch nicht sein. Wie viele Stunden seines Lebens hatte er sie
im Arm gehalten, während sie weinte? Und das war der springende Punkt: Er hatte
nie gewusst, was er sagen sollte, wenn Lila weinte. Erst später - zu spät -
hatte er begriffen, dass er gar nichts sagen sollte.
    »Verdammt, Brad. Ich will nicht darüber reden,
nicht jetzt.«
    »Es tut mir leid. Ich habe nur ... an sie
gedacht.«
    »Das weiß ich. Verdammt. Verdammt. Tu das nicht. Tu es nicht.«
    Er hörte sie schluchzen, und dann kam Davids
Stimme durch die Leitung. »Rufen Sie nicht wieder an, Brad. Das meine ich
ernst. Haben Sie verstanden?«
    »Lecken Sie mich am Arsch.«
    »Wie Sie meinen. Aber belästigen Sie sie nicht
mehr. Lassen Sie uns in Frieden.« Er legte auf.
    Wolgast warf einen Blick auf sein Handy und
schleuderte es dann durch das Zimmer. Es beschrieb einen schönen Bogen und
drehte sich wie ein Frisbee, bevor es mit dem Knirschen von zerbrechendem Plastik
an die Wand über dem Fernseher prallte. Sofort bereute er es. Aber als er sich
hinkniete, um es aufzuheben, sah er, dass nur der Akkudeckel abgesprungen war,
nichts weiter. Das Ding war völlig in Ordnung.
    Wolgast war nur einmal auf dem NOAH-Gelände
gewesen, im Sommer zuvor, um mit Colonel Sykes zusammenzutreffen. Es war
eigentlich kein Bewerbungsgespräch gewesen. Man hatte ihm gleich zu verstehen
gegeben, dass der Auftrag ihm gehörte, wenn er ihn haben wollte. Zwei Soldaten
brachten ihn mit einem Van hin. Die Scheiben waren geschwärzt, aber Wolgast
merkte, dass sie von Denver aus nach Westen fuhren, in die Berge. Die Fahrt
dauerte sechs Stunden, und am Ende war er tatsächlich eingeschlafen. Als er
ausstieg, empfing ihn die helle Sonne eines Sommernachmittags. Er streckte
sich und sah sich um. Aufgrund der Umgebung hätte er vermutet, dass er
irgendwo in der Nähe von Ouray war, vielleicht aber auch weiter im Norden. Die Luft
in seiner Lunge fühlte sich dünn und sauber an, und er spürte das erste Pochen
von Höhenkopfschmerz unter der Schädeldecke.
    Auf dem Parkplatz wurde er von einem Zivilisten
empfangen, einem kompakten Mann in Jeans und einem Khakihemd mit aufgekrempelten
Ärmeln. Eine altmodische Pilotensonnenbrille saß auf seiner breiten, etwas
knolligen Nase. Das war

Weitere Kostenlose Bücher