Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
eingeladen?«
    »Das nicht gerade. Sie hat mir eine E-Mail
geschickt. Meinte, ich sollte es wissen.«
    »Was haben Sie darauf geantwortet?«
    Wolgast zuckte die Achseln. »Nichts.«
    »Sie haben nichts gesagt?«
    Es kam noch dicker, aber Wolgast wollte nicht
darüber reden. Lieber Brad, hatte
Lila geschrieben, ich dachte, du solltest wissen, dass
David und ich ein Kind bekommen. Wir heiraten nächste Woche. Ich hoffe, du
kannst dich für uns freuen. Zehn Minuten lang hatte
er am Computer gesessen und die Mail auf dem Bildschirm angestarrt.
    »Da gab es nichts zu sagen. Wir sind geschieden.
Sie kann tun, was sie will.« Er trank seinen Scotch aus und schälte noch ein
paar Scheine von seinem Bündel, um zu zahlen. »Kommen Sie mit?«
    Doyle ließ den Blick durch das Lokal wandern.
Als sie sich an die Bar gesetzt hatten, war es fast leer gewesen. Aber
inzwischen waren ein paar Leute gekommen, unter anderm eine Gruppe von jungen
Frauen, die hohe Tische zusammengeschoben hatten, Margaritas aus Karaffen
tranken und sich lautstark unterhielten. In der Nähe war ein College - Sam
Houston State -, und Wolgast nahm an, dass es Studentinnen waren. Oder sie
arbeiteten irgendwo zusammen. Und wenn die ganze Welt zum Teufel ging - Happy
Hour war Happy Hour, und in Huntsville, Texas, drängten die hübschen Mädchen
in die Bars. Sie trugen enge Shirts und tief sitzende Jeans mit modischen
Rissen an den Knien und hatten sich zum Ausgehen geschminkt und frisiert. Eins
der Mädels, ein bisschen füllig, saß mit dem Rücken zu ihnen, und ihr
Hosenbund saß so tief, dass Wolgast die kleinen Herzchen auf ihrem Slip sehen
konnte. Er wusste nicht, wollte er genauer hinschauen oder lieber eine Decke
über sie werfen.
    »Vielleicht bleibe ich noch ein Weilchen«, sagte
Doyle und hob ihm sein Glas entgegen. »Seh mir das Spiel an.«
    Wolgast nickte. Doyle war nicht verheiratet; er
hatte nicht mal eine feste Freundin. Sie sollten ihren Umgang mit Fremden auf
ein Minimum beschränken, aber er sah nicht, was es ihn anging, wie Doyle seinen
Abend verbrachte. Er empfand leisen Neid, schob diesen Gedanken jedoch
beiseite. »Okay. Vergessen Sie nur nicht ...«
    »Schon klar«, sagte Doyle. »Was steht auf den
Schildern des National Forest Service? >Nimm nur Erinnerungen mit und lass
nur Fußspuren zurück.< Von diesem Augenblick an bin ich ein
Handelsvertreter für Faseroptik aus Indianapolis.«
    Hinter ihnen fingen die Mädels an, laut zu
lachen. Wolgast hörte den Tequila in ihren Stimmen.
    »Nette Stadt, Indianapolis«, sagte er. »Besser
als die hier jedenfalls.«
    »Ach, das würde ich nicht sagen.« Doyle grinste
verschmitzt. »Ich glaube, mir wird's hier ganz gut gefallen.«
    Wolgast verließ das Restaurant und ging den
Highway hinauf. Sein Handy hatte er im Motel gelassen; er hatte befürchtet, sie
könnten während des Essens einen Anruf bekommen und müssten dann gehen, aber
als er jetzt nachsah, war keine Nachricht da. Nach dem Lärm und dem Betrieb im
Restaurant war die Stille im Zimmer beunruhigend, und fast wünschte er, er wäre
doch bei Doyle geblieben. Doch er wusste, dass er zurzeit kein unterhaltsamer
Gesprächspartner war. Er zog die Schuhe aus und legte sich angekleidet auf das
Bett, um sich den Rest des Spiels anzusehen. Eigentlich interessierte es ihn
nicht, aber es war etwas, worauf er seine Gedanken konzentrieren konnte.
Schließlich, um kurz nach Mitternacht - kurz nach elf in Denver, ein bisschen
zu spät, aber egal -, tat er, was er nicht hatte tun wollen, und wählte Lilas
Nummer. Eine Männerstimme meldete sich.
    »David? Brad hier.«
    Einen Augenblick lang sagte David gar nichts.
»Es ist spät, Brad. Was wollen Sie?«
    »Ist Lila da?«
    »Sie hatte einen langen Tag«, sagte David mit
fester Stimme. »Sie ist müde.«
    Ich weiß, dass sie müde ist, dachte
Wolgast. Ich habe sechs Jahre in einem Bett mit ihr
geschlafen. »Geben Sie sie mir einfach, ja?«
    David seufzte und legte den Hörer mit einem
Knall hin. Wolgast hörte das Rascheln des Bettzeugs und dann Davids Stimme,
als er zu Lila sagte: Es ist Brad, Herrgott
noch mal. Sag ihm, er soll nächstens zu einer anständigen Zeit anrufen.
    »Brad?«
    »Entschuldige, dass ich so spät anrufe. Ich habe
nicht auf die Uhr geschaut.«
    »Das glaube ich dir nicht eine Sekunde. Was
willst du?«
    »Ich bin in Texas. In einem Motel. Ich kann dir
nicht genau sagen, wo.«
    »Texas.« Sie schwieg einen Moment. »Du kannst
Texas nicht ausstehen. Ich glaube nicht, dass du mich

Weitere Kostenlose Bücher