Cronin, Justin
sympathischsten Männer, die Sie jemals
kennenlernen werden. Viel anderes übrig bleibt ihnen ohnehin nicht. Wir geben
ihnen die Chance, am Leben zu bleiben und vielleicht zugleich einen
bedeutsamen Beitrag für die medizinische Wissenschaft zu leisten. Das ist kein
schlechter Deal, ganz und gar nicht. Alle Beteiligten stehen auf der Seite der
Engel.«
Wolgast nahm sich noch einen letzten Augenblick
Zeit zum Nachdenken. Das alles war ein bisschen schwer zu verdauen. »Ich
glaube, ich begreife immer noch nicht, was das Militär dabei zu suchen hat.«
Sykes' Haltung wurde steif, er schien beinahe
beleidigt zu sein. »Das begreifen Sie nicht? Denken Sie nach, Agent.
Angenommen, ein Soldat auf dem Boden in Khorramabad oder in Grosny wird von
einem Granatsplitter erwischt. Sagen wir, eine Straßenbombe, ein Klumpen C4 in
einem Bleirohr voller Schrauben. Vielleicht auch ein russisches Geschütz vom
Schwarzmarkt. Glauben Sie mir, ich habe aus erster Hand gesehen, was die Dinger
anrichten. Wir müssen ihn rausbringen, und vielleicht verblutet er unterwegs,
aber wenn er Glück hat, schafft er es bis ins Lazarett, wo ein Chirurg, zwei
Sanitäter und drei Krankenschwestern ihn zusammenflicken, so gut sie können,
bevor er nach Deutschland oder Saudi-Arabien ausgeflogen wird. Es ist
schmerzhaft, es ist schrecklich, es ist ein verfluchtes Pech für ihn, und
wahrscheinlich ist er raus aus dem Krieg. Er ist nicht mehr einsetzbar, ein
Totalverlust. Das ganze Geld, das wir für seine Ausbildung ausgegeben haben,
können wir abschreiben.
Und es wird noch übler. Er kommt deprimiert nach
Hause, wütend, vielleicht hat er ein Bein verloren, einen Arm oder was
Schlimmeres, und er hat über nichts und niemanden mehr etwas Gutes zu sagen. Er
hockt in der Bar an der Ecke und erzählt seinen Kumpels: Mein Bein ist weg, ich
pisse für den Rest meines Lebens in einen Beutel - und wofür?« Sykes lehnte
sich zurück und ließ seine Story wirken. »Wir sind seit fünfzehn Jahren im
Krieg, Agent. Wie es aussieht, werden wir es noch einmal fünfzehn Jahre sein,
wenn wir Glück haben. Ich mache Ihnen
nichts vor. Die größte Herausforderung, vor der das Militär steht und immer
gestanden hat, besteht darin, immer genug Soldaten im Feld zu haben. Nehmen wir
also an, derselbe Gl kriegt dasselbe Schrapnell ab, aber innerhalb eines
halben Tages ist seine Verletzung geheilt, und er ist wieder bei seiner Einheit
und kämpft für Gott und sein Vaterland. Glauben Sie, an so etwas wäre das
Militär nicht interessiert?«
Wolgast war zerknirscht. »Ich verstehe, was Sie
meinen.«
»Gut, denn das sollten Sie auch.« Sykes' Miene
hellte sich wieder etwas auf. Der Vortrag war zu Ende. »Vielleicht wird also
das Militär für die Rechnung aufkommen. Gut so, sage ich, denn offen gestanden
- wenn Sie wüssten, was wir bisher ausgegeben haben, würden Ihnen die Augen aus
dem Kopf fallen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich würde gern noch
meine Urururenkel kennenlernen. Verflucht, ich würde gern an meinem hundertsten
Geburtstag einen Golfball über dreihundert Meter schlagen und dann nach Hause
gehen und es meiner Frau so oft besorgen, dass sie eine Woche lang komisch
geht. Wer möchte das nicht?« Sykes sah Wolgast forschend an. »Die Seite der
Engel, Agent. Nicht mehr und nicht weniger. Sind wir uns einig?«
Sie schüttelten einander die Hand, und Sykes
ging mit ihm zur Tür. Draußen wartete Richards, um ihn zum Van zurückzubringen.
»Eine letzte Frage noch«, sagte Wolgast. »Wieso NOAH? Was bedeutet die
Abkürzung?«
Sykes sah kurz zu Richards hinüber. Wolgast
spürte, wie sich das Machtverhältnis verschob. Sykes mochte formal gesehen das
Kommando haben, doch in gewisser Weise, da war Wolgast sich sicher, war er Richards
unterstellt. Wahrscheinlich war Richards der Verbindungsmann zwischen dem
Militär und denen, die in Wirklichkeit die Fäden in der Hand hatten: USAMRIID,
das Heimatschutzministerium, vielleicht die National Security Agency.
Sykes wandte sich wieder Wolgast zu. »Es ist
keine Abkürzung. Sagen wir's mal so. Schon mal die Bibel gelesen?«
»Ein bisschen.« Wolgast schaute zwischen den
beiden hin und her. »Als Kind. Meine Mutter war Methodistin.«
Sykes gestattete sich ein zweites, letztes
Lächeln. »Schlagen Sie sie noch mal auf. Die Geschichte von Noah und der Arche.
Lesen Sie nach, wie lange er gelebt hat. Mehr sage ich nicht.«
Zu Hause in Denver tat Wolgast an diesem Abend,
was Sykes gesagt hatte. Er besaß keine
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