Cronin, Justin
verbrannt.
»Weißt du, eins habe ich mich immer gefragt«,
sagte Peter. »Warum haben wir ihn Colonel genannt?«
»Weil das sein Name war. Er hatte keinen
anderen.«
»Und warum, glaubst du, ist er hinausgelaufen?
Er schien nicht der Typ dafür zu sein. Nicht einer, weißt du, der einfach
aufgibt.«
Alicia antwortete nicht. Über ihre Beziehung zum
Colonel sprach sie nur selten, und nie im Detail. Aber dass die beiden etwas
verband, war Peter stets bewusst. Er glaubte nicht, dass sie den Colonel als
ihren Vater betrachtete; diese Art von Wärme hatte Peter zwischen den beiden
niemals wahrgenommen. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn sein Name erwähnt
wurde oder wenn er nachts auf der Mauer erschien, spürte Peter, dass eine Art
Starre sie überkam, eine kühle Distanz. Es war nichts Offenkundiges, und
wahrscheinlich war er der Einzige, der es überhaupt bemerkte. Aber was immer
der Colonel für sie gewesen war, das Band zwischen ihnen hatte bestanden, und
er wusste, dass sie ihre Tränen um ihn weinte.
»Ist das zu fassen?«, sagte Alicia kläglich.
»Sie haben mich gefeuert.«
»Sanjay wird schon wieder zur Vernunft kommen.
Er ist ja nicht dumm. Er wird einsehen, dass er einen Fehler gemacht hat.«
Doch Alicia schien kaum zuzuhören. »Nein, Sanjay
hat recht. Ich hätte niemals so über die Mauer gehen dürfen. Ich habe total den
Kopf verloren, als ich das Mädchen da draußen gesehen habe.« Verzweifelt
schüttelte sie den Kopf. »Nicht dass es jetzt noch wichtig wäre. Du hast die
Wunde gesehen.«
Das Mädchen, dachte Peter. Er hatte noch nichts
über sie erfahren. Wer war sie? Wie hatte sie überlebt? Gab es noch andere wie
sie? Wie war sie den Virais entkommen? Aber jetzt sah es so aus, als werde sie
sterben und alle Antworten mit ins Grab nehmen.
»Du musstest es versuchen. Ich finde, du hast
das Richtige getan. Genau wie Caleb.«
»Weißt du, dass Sanjay tatsächlich daran denkt,
ihn auszusetzen? Hightop auszusetzen, Herrgott.«
Ausgesetzt zu werden - das war das schlimmste
Schicksal, das man sich vorstellen konnte. »Das kann nicht sein.«
»Im Ernst, Peter. Ich schwöre dir, sie reden in
diesem Augenblick darüber.«
»Das würden die andern niemals hinnehmen.«
»Seit wann haben sie denn tatsächlich etwas zu
sagen? Du warst doch in diesem Raum. Die Leute haben Angst. Jemand muss die Schuld für den Tod der Lehrerin auf sich
nehmen. Caleb ist allein auf der Welt. Mit ihm haben sie ein leichtes Spiel.«
Peter atmete ein und hielt die Luft an. »Hör zu,
ich kenne Sanjay«, sagte er dann. »Er mag ein ziemlicher Wichtigtuer sein, aber
ich glaube wirklich nicht, dass er zu so etwas fähig ist. Und alle mögen
Caleb.«
»Alle mochten Arlo. Alle mochten deinen Bruder.
Das heißt nicht, dass die Geschichte nicht trotzdem ein böses Ende nimmt.«
»Allmählich klingst du wie Theo.«
»Vielleicht bin ich auch wie Theo.« Sie
blinzelte ins Licht. »Ich weiß nur, Caleb hat mich letzte Nacht gerettet. Wenn
Sanjay glaubt, er kann ihn aussetzen, bekommt er es mit mir zu tun.«
»Lish.« Er zögerte. »Sei vorsichtig. Überleg
dir, was du sagst.«
»Ich habe es mir überlegt. Niemand setzt ihn
aus.«
»Du weißt, dass ich auf deiner Seite bin.«
»Vielleicht möchtest du das lieber nicht sein.«
In der Kolonie um sie herum war es gespenstisch
still. Alle waren immer noch wie vom Donner gerührt nach den Ereignissen in
den frühen Morgenstunden. Peter fragte sich, ob es die Stille danach war oder
die Stille davor. War es die Stille, in der die Schuld abgewogen wurde? Alicia
hatte recht: Die Leute hatten Angst.
»Was das Mädchen angeht«, sagte er. »Es gibt da
etwas, das ich dir hätte erzählen sollen.«
Das Gefängnis war eine alte öffentliche Toilette
in der Wohnwagensiedlung auf der Ostseite der Stadt. Als sie näher kamen,
hörten Peter und Alicia es schon: anschwellende Stimmen, die durch die Luft zu
ihnen getragen wurden. Sie gingen schneller durch das Labyrinth der Wracks - aus
den meisten Wohnwagen hatte man längst alles Brauchbare ausgebaut -, und vor
dem Eingang sahen sie eine kleine Menschenmenge, vielleicht ein Dutzend Männer
und Frauen, die sich dicht um einen einzelnen Wächter drängten, um Dale
Levine. »Was zum Teufel ist da los?«
Alicias Blick verfinsterte sich. »Es hat
angefangen«, sagte sie. »Das ist los.«
Dale war nicht klein, doch in diesem Moment
wirkte er winzig. Er stand vor der Menge wie ein in die Enge getriebenes Tier.
Weil er ein bisschen
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