Cronin, Justin
schwerhörig war, hatte er die Angewohnheit, den Kopf
leicht nach rechts zu drehen, um dem, der mit ihm sprach, sein gesundes Ohr
zuzuwenden. Das ließ ihn immer ein wenig geistesabwesend aussehen. Aber jetzt
machte er überhaupt nicht den Eindruck, geistesabwesend zu sein.
»Es tut mir leid, Sam«, sagte er gerade. »Ich
weiß nichts, was ihr nicht auch wisst.«
Der Mann, den er da anredete, war Sam Chou, Old
Chous Neffe, ein ganz zurückhaltender Mensch, den Peter im ganzen Leben nur ein
paarmal hatte sprechen hören. Die Andere Sandy war seine Frau; sie hatten fünf
Kinder, und drei von ihnen waren in der Zuflucht. Als Peter und Alicia bei der
Gruppe angekommen waren, wusste er, wer die Leute waren: Es waren Eltern.
Genau wie Ian hatten alle, die hier vor dem Gefängnis standen, ein oder
mehrere Kinder. Patrick und Emily Phillips, Hodd und Lisa Greenberg, Grace
Molyneau und Belle Ramirez und Hannah Fisher Patal.
»Der Junge hat das Tor aufgemacht.«
»Und was soll ich jetzt tun? Frag deinen Onkel,
wenn du mehr wissen willst.«
Sam hob den Kopf und rief zu den Fenstern unter
dem Dach des Gefängnisses hinauf: »Hörst du mich, Caleb Jones? Wir wissen
alle, was du getan hast!«
»Hör zu, Sam. Lass den armen Jungen in Ruhe.«
Ein zweiter Mann trat vor: Milo Darrell. Milo
war ein Schrauber wie sein Bruder Finn, und er hatte den kräftigen Körperbau
und das wortkarge Auftreten eines Schraubers - groß und mit hängenden
Schultern, einem wolligen Vollbart und ungekämmten Haaren, die ihm wirr in die
Augen fielen. Hinter ihm, winzig im Vergleich zu ihm, stand seine Frau Penny.
»Du hast auch ein Kind, Dale«, rief Milo. »Wie
kannst du einfach so dastehen?«
Das war eine der drei »Jots«, begriff Peter. Die
kleine June Levine. Er sah, dass Dale blass wurde.
»Denkst du, das weiß ich nicht?« Das Wenige, was
er an Autorität besaß, war fast verschwunden. »Ich stehe nicht einfach so da.
Überlasst diesen Fall dem Haushalt.«
»Er gehört ausgesetzt.«
Die Frauenstimme kam aus der Mitte der Gruppe.
Belle Ramirez, Reys Frau. Ihre kleine Tochter war Jane. Peter sah, dass ihre
Hände zitterten, und sie war den Tränen nahe. Sam trat zu ihr und legte ihr
tröstend einen Arm um die Schultern. »Siehst du, Dale? Siehst du, was dieser
Junge getan hat?«
Im selben Augenblick drängte Alicia sich
entschlossen durch die Menge. Ohne Belle oder sonst jemanden anzusehen, trat
sie an Dale heran, der die verzweifelte Belle in völliger Hilflosigkeit
anstarrte.
»Dale, gib mir deine Armbrust.«
»Lish, das darf ich nicht. Das hat Jimmy
gesagt.«
»Ist mir egal. Gib sie mir einfach.«
Sie wartete nicht ab, sondern entriss ihm die
Waffe. Dann drehte sie sich um und hielt die Armbrust locker an der Seite -
eine bewusst unbedrohliche Haltung, aber Alicia war Alicia. Dass sie dort
stand, hatte etwas zu bedeuten.
»Leute, ich weiß, dass ihr aufgebracht seid, und
wenn ihr mich fragt, seid ihr es zu Recht. Aber Caleb Jones ist einer von uns.«
»Du hast leicht reden«, sagte Milo. Er stand
jetzt bei Sam und Belle. »Du warst diejenige, die draußen war.«
Zustimmendes Gemurmel ging durch die Gruppe.
Aber Alicia sah ihn nur kühl an.
»Da ist was dran, Milo. Wenn Hightop nicht
gewesen wäre, wäre ich jetzt tot. Ich an eurer Stelle würde lange und gründlich
darüber nachdenken, ob ihr ihm etwas antun wollt.«
»Was hast du vor?«, fragte Sam spöttisch. »Uns
alle mit der Armbrust erschießen?«
»Nein.« Sie zog die Stirn kraus. »Nur dich, Sam.
Ich glaube, Milo erledige ich mit dem Messer.«
Ein paar der Männer lachten nervös, aber sie
hörten gleich wieder auf. Peter, der ganz am Rand stand, merkte, dass seine
Hand zum Griff seines eigenen Messers gewandert war. Jetzt hing alles davon
ab, was als Nächstes passieren würde.
»Ich glaube, du bluffst«, sagte Sam, ohne Alicia
aus den Augen zu lassen.
»Ach ja? Du kennst mich anscheinend nicht
besonders gut.«
»Der Haushalt wird ihn aussetzen. Wart's nur ab.«
»Vielleicht hast du recht. Aber darüber hat
keiner von uns zu entscheiden. Hier passiert überhaupt nichts - außer dass du
eine Menge Leute ohne jeden Grund aus dem Häuschen bringst. Das lasse ich
nicht zu.«
Die Menge war plötzlich still geworden. Peter
spürte ihre Unsicherheit. Die Dynamik hatte sich verschoben. Mit Ausnahme von
Sam und vielleicht noch Milo war hier niemand, dessen Wut wirklich ungehalten
war. Sie hatten nur Angst.
»Sie hat recht, Sam«, sagte Milo. »Lasst uns
gehen.«
In
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