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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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seine
Bewegungen unkoordiniert wie die eines Kindes, und die einzelnen Teile waren
nie ganz im Gleichtakt. »Michael«, japste er. »Michael ...«
    »Ruhig, Jacob. Immer langsam.«
    Der Junge wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht,
als könne er so mehr Sauerstoff in seine Lunge pumpen. Michael wusste nicht, ob
er verstört oder nur aufgeregt war. »Ich suche ... Sara«, brachte der Junge
hervor.
    Nicht da, sagte Michael. »Hast du es zu Hause
versucht?«
    »Da ist sie auch nicht!« Jacob hob den Kopf.
Seine Augen waren weit aufgerissen. »Ich habe sie gesehen, Michael.«
    »Ich dachte, du kannst sie nicht finden.«
    »Nicht sie. Die andere. Ich habe geschlafen und
sie gesehen!«
    Was der Junge sagte, ergab nicht immer viel
Sinn, aber so hatte Michael ihn noch nie gesehen. In seinem Blick lag die
nackte Panik.
    »Ist etwas mit deinem Dad, Jacob? Geht's ihm
gut?«
    Jacob zog die feuchte Stirn kraus. »Oh. Der ist
gestorben.«
    »Gabe ist tot?«
    Es hatte verstörend sachlich geklungen; ebenso
gut hätte er Michael mitteilen können, wie das Wetter war. »Er ist gestorben
und wird nicht mehr aufwachen.«
    »Oh mein Gott, Jacob. Das tut mir leid.«
    Erleichtert sah Michael, dass Mar auf sie zukam.
    »Jacob, wo bist du gewesen?« Die Frau blieb vor
ihnen stehen. »Wie oft muss ich es dir sagen? Du darfst nicht einfach
weglaufen. Das darfst du
nicht!«
    Der Junge wich zurück und ruderte mit den langen
Armen. »Ich muss Sara finden!«
    »Jacob!«
    Ihre Stimme traf ihn wie ein Pfeil. Er blieb
starr stehen, aber sein Gesicht war immer noch beseelt von einer seltsamen,
unergründlichen Angst. Sein Mund stand offen, und er atmete stoßweise. Mar ging
vorsichtig auf ihn zu, als wäre er ein großes, unberechenbares Tier.
    »Jacob, sieh mich an.«
    »Mama ...«
    »Still jetzt. Nicht mehr reden. Sieh mich an.«
Sie hob die Hände, legte sie an seine Wangen und schaute ihm fest in die Augen.
»Ich habe sie gesehen, Mama.«
    »Ich weiß. Aber es war nur ein Traum, Jacob,
weiter nichts. Weißt du nicht mehr? Wir sind nach Hause gegangen, ich habe dich
ins Bett gebracht, und du hast geschlafen.«
    »Ja?«
    »Ja, mein Schatz, du hast geschlafen. Es war
nichts. Nur ein Traum.« Jacob atmete jetzt langsamer, und unter der Berührung
seiner Mutter schien er sich zu beruhigen. »So ist es brav, mein Junge. Jetzt
gehst du nach Hause und wartest da auf mich. Nicht mehr nach Sara suchen. Tust
du das?«
    »Aber Mama ...«
    »Kein Aber, Jacob. Tust du, was ich sage?«
Zögernd nickte er.
    »Braver Junge.« Mar ließ ihn los und trat
zurück. »Und jetzt ab nach Hause.«
    Der Junge warf Michael einen kurzen,
verstohlenen Blick zu und trabte davon.
    Mar sah Michael an. »Das funktioniert immer,
wenn er so ist. Alles andere nicht«, sagte sie und zuckte ermattet die Achseln.
    »Ich habe von Gabe gehört«, sagte Michael. »Es
tut mir leid.«
    Mar sah aus, als habe sie so viel geweint, dass
keine Tränen mehr übrig waren. »Danke, Michael. Ich glaube, Jacob wollte zu
Sara, weil sie da war, am Ende. Sie war eine gute Freundin. Für uns alle.« Sie
stockte, und ein schmerzlicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht, aber dann
schüttelte sie den Kopf, als wolle sie einen Gedanken abwehren. »Sag ihr doch
bitte, dass wir ihr das nie vergessen. Ich glaube, ich hatte keine Gelegenheit,
ihr richtig zu danken.
    »Sie ist sicher nicht weit. Hast du im
Krankenrevier nachgesehen?«
    »Natürlich ist sie dort. Da war Jacob als
Erstes.«
    »Das verstehe ich nicht. Wenn Sara im
Krankenrevier ist, warum hat er sie dann nicht gefunden?«
    Mar sah ihn befremdet an. »Wegen der Quarantäne
natürlich.«
    »Quarantäne?«
    Mar war fassungslos. »Michael, wo bist du
gewesen?«
     
    28
     
    Alicia kam dann doch nicht zu ihm, sondern es
war andersherum. Peter wusste, wo sie sein würde.
    Sie saß in einem schattigen Eckchen vor der
Hütte des Colonels an einen Holzstapel gelehnt, die Knie an die Brust gezogen.
Als sie Peter kommen hörte, hob sie den Kopf und wischte sich hastig die Tränen
mit dem Handrücken aus dem Gesicht.
    »O verdammt, verdammt«, sagte sie.
    Er setzte sich neben ihr auf den Boden. »Ist
schon gut.«
    Alicia seufzte bitter. »Nein, ist es nicht. Wenn
du irgendjemandem erzählst, dass du mich so gesehen hast, kriegst du mein Messer zwischen die Rippen, Peter.«
    Eine Zeitlang saßen sie schweigend da. Der
Himmel war bewölkt, das Licht blass und rauchig; in der Luft hing ein starker,
beißender Geruch - draußen vor der Mauer wurden die Leichen

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