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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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klug?«
    »Keine Sorge, ihm können wir vertrauen.« Sie hob
den Kopf und warf ihm einen kurzen, bekümmerten Blick zu. Dann schüttelte sie
den Kopf. »Komisch, dass wir alle plötzlich so reden. Wer wem vertrauen kann.«
Sie gab ihm einen leichten Klaps auf den Arm. »So. Beweg ihn mal.«
    Peter ballte die Faust und beugte und steckte
den Arm. »So gut wie neu.«
    Sara war zur Pumpe gegangen, um ihre Instrumente
zu reinigen. Sie drehte sich um und trocknete sich die Hände an einem Lappen
ab.
    »Ehrlich, Peter, manchmal mache ich mir Sorgen
um dich.«
    Er merkte, dass er den Arm immer noch
abspreizte. Verlegen ließ er ihn hängen. »Mir fehlt nichts.«
    Sie zog zweifelnd die Brauen hoch, aber sie
sagte nichts.
    In jener Nacht nach der Musik, als Arlo Gitarre
gespielt und die Leute ihren Schnaps getrunken hatten, war etwas über ihn
gekommen, eine beinahe körperliche Einsamkeit, aber dann, als er sie küsste,
auch ein jähes, stechendes Schuldgefühl. Nicht dass er sie nicht mochte. Oder
dass sie es ihm schwergemacht hätte. Alicia hatte recht mit dem, was sie auf
dem Dach des Kraftwerks gesagt hatte: Sara war genau die Richtige für ihn.
Aber er konnte sich nicht zwingen, etwas zu fühlen, was er nicht fühlte.
    »Solange du noch hier bist, werde ich rasch nach
Hightop sehen«, sagte Sara. »Ich hoffe, sie haben ihm etwas zu essen gebracht.«
    »Was hört man denn?«
    »Ich war den ganzen Tag hier. Du weißt
wahrscheinlich mehr als ich.«
    Als Peter nicht antwortete, zuckte sie die
Achseln. »Ich nehme an, die Leute sind zwiegespalten. Viele werden wütend sein
wegen der letzten Nacht. Am besten lässt man ein bisschen Zeit vergehen.«
    »Sanjay sollte sich gut überlegen, ob er etwas
gegen ihn unternimmt. Lish wird es nicht hinnehmen.«
    Sara versteifte sich plötzlich. Sie hob ihre
Tasche auf und hängte sie über die Schulter, ohne ihn anzusehen.
    »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Vergiss es, Peter.
Lish ist nicht mein Problem.«
    Dann war sie weg, und der Vorhang wehte hinter
ihr her. Was soll man davon halten?, dachte Peter. Die beiden Frauen, Alicia
und Sara, hätten unterschiedlicher nicht sein können, und kein Gesetz der Welt
schrieb vor, dass sie gut miteinander auskommen mussten.
    Vielleicht war es einfach so, dass Sara Alicia
die Schuld am Tod der Lehrerin gab, denn der dürfte Sara härter getroffen haben
als die meisten andern. Wenn er jetzt darüber nachdachte, lag es eigentlich
auf der Hand, und er wusste nicht, warum er nicht schon eher darauf gekommen
war.
    Das Mädchen sah ihn wieder an und zog fragend
die Brauen hoch.
    Was ist los?
    »Sie ist ein bisschen durcheinander, weiter
nichts«, sagte er. »Macht sich Sorgen.«
    Wieder dachte er: wie seltsam. Es war, als könne
er ihre Worte im Kopf hören. Jeder, der hier hereinkäme, würde ihn für verrückt
halten.
    Und dann tat das Mädchen etwas, womit er niemals
gerechnet hätte. Er wusste nicht, was sie vorhatte, aber sie stand auf und
ging zum Waschbecken, bewegte dreimal energisch den Pumpenschwengel auf und ab
und ließ Wasser in eine Schüssel laufen. Damit kam sie zurück zu Peter, der auf
dem Bett saß. Sie stellte die Schüssel auf den staubigen Boden neben seine
Füße, nahm ein sauberes Tuch vom Rollwagen, setzte sich neben ihn und bückte
sich, um es ins Wasser zu tauchen. Dann nahm sie seinen Arm und betupfte die
Stelle, an der die Nähte saßen, mit dem feuchten Tuch.
    Ihr Atem wehte über seine feuchte Haut. Sie
hatte das Tuch jetzt in der flachen Hand ausgebreitet, und ihre Bewegungen
waren gründlicher - kein behutsames Tupfen, sondern ein glattes, ja,
streichelndes Wischen, das Schmutz und abgestorbene Hautpartikel entfernte. Es
war nett von ihr, dass sie ihn wusch, und es weckte in ihm zugleich
Empfindungen und Erinnerungen, mit denen er so nicht gerechnet hatte; alle
seine Sinne versammelten sich um diesen Waschlappen an seinem Arm und ihren
Atem auf seiner Haut - wie Motten um eine Kerzenflamme. Als wäre er wieder ein
Junge, der hingefallen und sich den Ellenbogen aufgeschürft hatte und nach Hause
gelaufen war, wo sie ihn wusch. Sie vermisst dich.
    Jeder einzelne Nerv in seinem Körper zuckte
zusammen. Das Mädchen hielt seinen Arm fest. Es waren keine Worte, keine laut
ausgesprochenen Worte. Es war in seinem Kopf. Sie umklammerte seinen Arm, und ihr
Gesicht war dicht vor seinem.
    »Was hast du ... ?«
    Sie vermisst dich sie vermisst dich sie vermisst
dich.
    Er sprang auf und taumelte zurück.

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