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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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der langen Minute, die das System brauchte,
um wieder online zu gehen, während der Harddrive klickte und surrte, schloss
Michael Fisher die Augen und dachte: Bitte.
    Und da war es. Als er die Augen öffnete, sah er
es auf dem Bildschirm. UNBEKANNTES LAUFWERK. Er wählte es an und sah, wie das
Fenster sich öffnete. Zwei Partitionen, A und B. A war winzig, ein paar Kilobyte
nur. Aber B nicht.
    B war riesig.
    Die Partition enthielt zwei Dateien von gleicher
Größe; die eine war vermutlich ein Backup der anderen. Zwei identische Dateien
von schwindelerregender Größe. Dieser Chip - als sei die ganze Welt darin
gespeichert. Wer immer dieses Ding gemacht und dem Mädchen unter die Haut
gepflanzt hatte, war nicht wie irgendjemand, den er kannte; er kam nicht aus
der Welt, zu der Michael gehörte. Er überlegte, ob er Elton rufen und ihn
fragen sollte, was er meinte. Aber das Schnarchen, das von hinten kam, verriet
ihm, dass er sich das sparen konnte.
    Als Michael die Datei schließlich öffnete, tat
er es beinahe verstohlen. Er hielt eine Hand vor die Augen und spähte zwischen
den Fingern hindurch.
     
    33
     
    Peter hatte Glück. Als er sich dem Krankenrevier
näherte, sah er, dass nur ein einzelner Wächter auf Posten stand. Er
marschierte bis an die Treppe heran, »'n Abend, Dale.«
    Dales Armbrust baumelte locker an seiner Seite.
    Er seufzte genervt, drehte den Kopf ein wenig
zur Seite und hielt Peter sein gutes Ohr entgegen. »Du weißt, ich kann dich
nicht reinlassen.«
    Peter reckte den Hals, um an Dale vorbei durch
das Fenster hineinzuschauen. Auf dem Schreibtisch leuchtete eine Laterne. »Ist
Sara da?«
    »Sie ist vor einer Weile gegangen. Wollte etwas
essen.«
    Peter wich nicht von der Stelle und schwieg. Bei
diesem Spiel kam es darauf an, zu warten. Das wusste er. Er sah die
Unentschlossenheit in Dales Gesicht. Nach einer Weile pustete der Wächter
resigniert und trat zur Seite.
    »Aber mach's kurz.«
    Peter trat durch die Tür und lief nach hinten,
zum Bett des Mädchens. Sie lag zusammengerollt da, die Knie an die Brust
gedrückt, mit dem Rücken zu ihm. Als er hereinkam, rührte sie sich nicht. Peter
nahm an, dass sie schlief.
    Er schob einen Stuhl neben das Bett, setzte sich
hin und stützte das Kinn auf die Hände. Unter dem zerzausten Haar sah Peter das
Mal an ihrem Nacken, wo Sara den Sender entfernt hatte - eine kaum sichtbare
Wunde, fast vollständig verheilt.
    Plötzlich drehte sie sich um. Das Weiße in ihren
Augen leuchtete in dem Licht, das durch den Vorhang fiel.
    »Hey«, sagte er, und seine Stimme drang kaum
durch seine Kehle. »Wie geht's dir?«
    Ihre Hände waren zusammengepresst, und die
Handgelenke klemmten zwischen den Knien. Ihre ganze Haltung schien darauf
ausgerichtet zu sein, sie kleiner aussehen zu lassen, als sie war.
    »Ich wollte dir dafür danken, dass du mich
gerettet hast.«
    Ein kurzes Straffen der Schultern unter dem
Hemd. Gern geschehen.
    Wie seltsam, so mit ihr zu sprechen. Seltsam,
weil es gar nicht so seltsam war. Noch nie hatte er die Stimme des Mädchens
gehört, aber das störte ihn nicht. Es hatte etwas Beruhigendes, als habe sie den
Lärm der Worte einfach abgeschafft.
    »Ich nehme an, du hast keine Lust, dich zu
unterhalten«, sagte Peter vorsichtig. »Zum Beispiel, mir zu sagen, wie du
heißt? Damit könnten wir anfangen.«
    Das Mädchen sagte nichts, ließ nichts erkennen. Warum
sollte ich dir sagen, wie ich heiße?
    »Auch gut«, sagte Peter. »Ist mir recht. Wir
können auch einfach hier sitzen.«
    Und das tat er. Er blieb im Dunkeln bei ihr
sitzen. Nach einiger Zeit erschlaffte das Gesicht des Mädchens. Noch ein paar
Minuten vergingen, und ohne seine Anwesenheit weiter zur Kenntnis zu nehmen,
schloss sie die Augen wieder.
    Peter saß in der Stille, und plötzlich überkam
ihn Müdigkeit, und er musste an einen Abend vor langer Zeit denken, als er ins
Krankenrevier gekommen war und gesehen hatte, wie seine Mutter bei einem ihrer
Patienten wachte, wie er es jetzt tat. Er wusste nicht mehr, wer der Patient
gewesen war oder ob diese Erinnerung nicht tatsächlich aus mehreren,
miteinander verwobenen Erinnerungen bestand; vielleicht war es eine Nacht gewesen,
vielleicht waren es auch mehrere. Aber in der Nacht, an die er sich erinnerte,
war er durch den Vorhang getreten, hatte seine Mutter auf einem Stuhl neben
einem der Betten gesehen, den Kopf zur Seite gelegt, und er hatte gewusst, dass
sie schlief. Der Patient im Bett war ein Kind, eine kleine Gestalt in

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