Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
kleiner
Scheißer. Die Frau beobachtete ihn. Lachte. Der
Junge ist nicht nur blöd. Ich sage euch, er ist mit Blödheit geschlagen.
    Er fuhr aus dem Schlaf hoch, kippte aus dem
Traum in die kalte Wirklichkeit seiner Zelle. Seine Haut war von widerlichem
Schweiß überzogen. Der Schweiß eines Alptraums, an den er sich nicht mehr
erinnern konnte. Übrig war nur das Gefühl, das er wie einen Schmutzfleck nicht
mehr loswurde.
    Er stand auf und schlurfte zum Loch. Er zielte
so gut wie möglich und lauschte auf das Plätschern seines Urins dort unten. Er
hatte angefangen, sich auf das Geräusch zu freuen, und wartete schon drauf,
wie man vielleicht auf den Besuch eines Freundes wartete. Er hatte immer darauf
gewartet, dass wieder etwas passierte. Er hatte darauf gewartet, dass jemand
etwas sagte, dass man ihm erklärte, warum er hier war und was sie von ihm
wollten. Dass man ihm sagte, er sei nicht tot. Im Laufe der leeren Tage hatte
er begriffen, dass er auf Schmerzen wartete. Die Tür würde sich öffnen, Männer
würden hereinkommen, und die Schmerzen würden anfangen. Aber die Stiefel kamen
und gingen - er konnte ihre verschrammten Spitzen durch den Schlitz unten in
der Tür erkennen -, sie brachten ihm sein Essen und holten den leeren Teller
ab, ohne etwas zu sagen. Immer wieder hatte er an die Tür gehämmert, an die
kalte Stahltür. Was wollt ihr von mir? Was wollt ihr? Doch
die einzige Antwort auf sein Flehen war Schweigen.
    Er wusste nicht, seit wie vielen Tagen er hier
war. Hoch oben, außer Reichweite, war ein Fenster, durch das er nicht
hinausschauen konnte. Ein Stück weißer Himmel, und nachts die Sterne. Das
Letzte, woran er sich erinnerte, waren die Virais, die sich vom Dach fallen
ließen, und wie dann alles auf dem Kopf gestanden hatte. Peters Gesicht wich
zurück, er hörte, wie jemand seinen Namen rief, und er erinnerte sich an das
peitschende Gefühl in seinem Genick, als er zum Dach hinaufgeschleudert worden
war. Wie er noch einmal den Wind geschmeckt und die Sonne auf dem Gesicht
gefühlt und wie er das Gewehr verloren hatte. Wie es langsam kreiselnd nach unten
gefallen war.
    Dann nichts mehr. Der Rest war ein schwarzes
Loch in seinem Gedächtnis, ein Loch wie der Krater, den ein verlorener Zahn
hinterließ.
    Er saß auf der Kante seiner Pritsche, als er die
Schritte kommen hörte. Der Schlitz in der Tür öffnete sich, und ein Teller
wurde über den Boden hereingeschoben. Die gleiche Wassersuppe, die er Tag für
Tag bekam. Manchmal war ein kleines Stückchen Fleisch darin, manchmal nur ein
Markknochen, den er aussaugen konnte. Anfangs hatte er sich vorgenommen,
nichts zu essen und zu sehen, was sie, wer immer sie waren, dann tun würden.
Aber das hatte er nur einen Tag durchgehalten, und dann hatte der Hunger ihn
überwältigt.
    »Wie geht's?«
    Theos Zunge lag dick in seinem Mund. »Verpiss
dich.« Ein leises, trockenes Lachen. Die Stiefel scharrten auf dem Boden. Die
Stimme war jung oder alt - er konnte es nicht erkennen.
    »So ist's richtig, Theo.«
    Als er seinen Namen hörte, schlängelte sich
etwas Kaltes über sein Rückgrat. Er schwieg. »Fühlst du dich wohl da drin?«
    »Woher weißt du, wer ich bin?«
    »Schon vergessen?« Eine kurze Pause. »Vermutlich
ja. Du hast es mir gesagt. Als
du gekommen bist. Oh, wir haben uns nett unterhalten.«
    Angestrengt versuchte er sich zu erinnern, aber
alles war dunkel. War die Stimme überhaupt wirklich da? Diese Stimme - sie
schien ihn zu kennen. Vielleicht existierte sie nur in seiner Fantasie. An
einem Ort wie diesem musste so etwas früher oder später passieren. Das Gehirn
machte, was es wollte.
    »Keine Lust zum Plaudern, was? Auch in Ordnung.«
    »Was immer ihr vorhabt, tut es einfach.«
    »Oh, wir haben es schon getan. Wir tun es immer
noch. Sieh dich um, Theo. Was siehst du?«
    Wider Willen sah er sich in der Zelle um. Die
Pritsche, das Loch, das dreckige Fenster. In die Wände waren seltsame Dinge
eingeritzt. Tagelang hatte er daran herumgerätselt. Das meiste war sinnloses
Gekritzel, weder Wörter noch irgendwelche Bilder, die ihm was sagten. Aber
einen, in Augenhöhe über dem Loch, hatte er entziffert: RÜBEN WAS HERE.
    »Wer ist Rüben?«
    »Rüben? Hm. Ich glaube, ich kenne keinen Rüben.«
    »Mach keine Spielchen.«
    »Ach, du meinst Ru-ben.« Wieder dieses leise Lachen. Wie gern hätte Theo mit der
Faust durch die Tür und dem Kerl ins Gesicht geschlagen. »Vergiss Ru-ben, Theo. Für Ru-ben ist
es nicht so gut gelaufen. Ru-ben,

Weitere Kostenlose Bücher