Cronin, Justin
Trotzdem bestand die einzige Umgrenzung
anscheinend aus einem Metallzaun, viel zu dürftig als Schutz gegen einen
Angriff. Abgesehen von den Flammenwerfern auf den Trucks, gestand Olson, hätten
sie überhaupt keine brauchbaren Waffen. Die Flinten seien reine Show; die
gesamte Munition hätten sie schon vor Jahrzehnten verbraucht.
»Ihr seht«, hatte er gesagt, »wir leben hier
absolut friedlich.«
Olson Hand: Peter war noch nie jemandem
begegnet, der solch eine natürliche Autorität ausstrahlte. Abgesehen von
Billie, dem Mann, den sie als Jude kannten und der anscheinend als einer von
Olsons Adjutanten fungierte, sowie dem Fahrer des Trucks, der sie aus Las
Vegas hierhergebracht hatte, konnte Peter keine weiteren Kommandostrukturen
erkennen. Olson hatte keinen Titel, er hatte einfach die Leitung, und er übte
sie mit leichter Hand aus. Wenn er etwas mitteilte, tat er es mit sanfter,
beinahe Nachsicht heischender Stimme. Er war groß und silberhaarig und trug wie
die meisten Männer sein Haar zu einem langen Pferdeschwanz gebunden, während
die Frauen und Kinder allesamt kurzgeschoren waren. Seine gebeugte Gestalt
füllte den orangegelben Overall kaum aus, und beim Sprechen hatte er die
Angewohnheit, die Fingerspitzen zusammenzulegen, was ihn mehr wie eine gütige
Vaterfigur wirken ließ und nicht wie einen, der für das Leben von dreihundert
Seelen verantwortlich war.
Es war Olson, der ihnen die Geschichte des
Hafens erzählt hatte, wenige Stunden nach ihrer Ankunft. Sie waren im
Krankenrevier, wo Michael von Olsons Tochter Mira gepflegt wurde, einer
ätherischen, feingliedrigen Halbwüchsigen, deren kurzgeschorenes, feines Haar
beinahe durchscheinend hell war.
Zuvor waren sie alle sieben entkleidet und
gewaschen worden. Ihre Habe hatte man konfisziert, aber sie würden alles
wiederbekommen, hatte Olson versprochen, alles bis auf ihre Waffen. Sollten sie
sich dafür entscheiden, weiterzuziehen - und hier hatte Olson innegehalten, um
mit charakteristischer Milde anzumerken, dass er hoffe, sie würden bleiben -,
werde man ihnen ihre Waffen zurückgeben. Aber einstweilen müssten Gewehre und
Messer unter Verschluss bleiben.
Was die Geschichte des Hafens anging, erklärte
Olson weiter, sei vieles einfach unbekannt. Im Laufe der Zeit war sie immer
weiter ausgesponnen und verändert worden, bis irgendwann nicht mehr klar war,
wie es wirklich war. In einigen Punkten war man sich immerhin einig. Die ersten
Siedler waren eine Gruppe von Flüchtlingen aus Las Vegas gewesen, die in den
letzten Tagen des Krieges hergekommen waren. Ob sie es absichtlich getan
hatten, weil sie hofften, dass das Gefängnis mit seinen Gittern, Mauern und
Zäunen ihnen eine gewisse Sicherheit bieten würde, oder ob sie ein anderes Ziel
gehabt und nur hier haltgemacht hatten, wusste niemand. Als sie aber erkannt
hatten, dass es hier keine Virais gab, weil die Wildnis ringsum zu unwirtlich
war und eine Art natürliche Barriere bildete, hatten sie sich dafür
entschieden, hierzubleiben und ihr Leben in der Wüste zu fristen. Der
Gefängniskomplex bestand genau genommen aus zwei Anlagen: aus dem Staatsgefängnis
Desert Wells, in dem die ersten Siedler untergekommen waren, und dem
angrenzenden Internierungscamp, einem halb offenen landwirtschaftlichen
Arbeitslager für jugendliche Straftäter, in dem die Bewohner jetzt lebten.
Desert Wells, die Quelle, von der das Gefängnis seinen Namen bezog, lieferte
das Wasser für die Felder und für die Kühlung einiger Gebäude, unter anderem
des Krankenreviers. Das Gefängnis hatte einen großen Teil dessen enthalten,
was sie brauchten - einschließlich der orangegelben Overalls, die fast alle
hier trugen -, und den Rest hatten sie sich aus den Städten im Süden geholt.
Ein leichtes Leben sei es nicht, sagte Olson, und vieles müssten sie entbehren,
aber zumindest könnten sie hier in Freiheit existieren, unbedroht durch die
Virais. Viele Jahre lang hätten sie Suchtrupps ausgeschickt, um weitere
Überlebende aufzustöbern und in Sicherheit zu bringen. Einige, nicht wenige
sogar, hätten sie gefunden, aber das sei viele Jahre her, und inzwischen hätten
sie die Hoffnung längst aufgegeben.
»Und deshalb«, schloss Olson mit einem warmen
Lächeln, »ist es nicht weniger als ein Wunder, dass ihr hier seid.« Seine Augen
waren tatsächlich tränenfeucht geworden. »Ihr alle. Ein Wunder.«
Die erste Nacht hatten sie bei Michael im
Krankenrevier verbracht, und am nächsten Tag hatte man sie in zwei
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