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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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leckte sich dann die Finger ab. Sie hätte ewig hierbleiben können,
nur wegen des Essens.
    Aber sie hatten es alle sofort gespürt: Etwas stimmte
nicht. Gestern Abend: all die Frauen, die sich um sie herumgedrängt hatten, mit
Kindern auf dem Arm oder schwanger - oder sogar beides -, und mit diesem
schwesterlichen Leuchten im Gesicht, als sie sahen, dass sie auch schwanger
war. Ein Baby! Wie wundervoll! Wann war es so weit? War es ihr erstes? Waren
noch andere in ihrer Gruppe schwanger? In dem Augenblick war ihr nicht
eingefallen, sich zu fragen, woher sie es wussten - man sah es ihr ja kaum an
-, oder warum keine von ihnen wissen wollte, wer der Vater sei, geschweige
denn den Vater ihres eigenen Kindes erwähnte.
    Die Sonne war untergegangen. Das Letzte, woran
Mausami sich erinnerte, war, dass sie sich hingelegt hatte, um ein bisschen zu
schlafen. Peter und die anderen waren vermutlich in der anderen Baracke und
überlegten, was sie tun sollten. Das Baby bewegte sich wieder, es zappelte in
ihr. Sie lag mit geschlossenen Augen da und ließ sich von dem Gefühl erfüllen.
Wache stehen - das schien viele Jahre her zu sein. Ein anderes Leben. So ging
es, das wusste sie, wenn man ein Kind bekam. Dieses fremde neue Wesen wuchs in
einem heran, und wenn die Schwangerschaft um war, war man selbst jemand anders
geworden.
    Plötzlich merkte sie es: Sie war nicht allein.
    Amy saß auf der Pritsche neben ihr. Es war
unheimlich, wie sie sich unsichtbar machen konnte. Mausami drehte sich zu ihr
herum und zog die Knie an, während das Baby in ihr strampelte.
    »Hey.« Mausami gähnte. »Ich glaube, ich habe ein
bisschen geschlafen.«
    So redeten alle immer mit ihr: Sie sprachen das
Offensichtliche aus und ergänzten Amys stummen Anteil am Gespräch. Es war ein
bisschen verstörend, wie das Mädchen einen anschaute, eindringlich, als könne
sie Gedanken lesen. Im selben Moment kapierte Mausami, was das Mädchen meinte.
    »Oh. Ich verstehe«, sagte sie. »Möchtest du es
fühlen?«
    Amy legte unsicher den Kopf schräg.
    »Das kannst du, wenn du willst. Komm her.«
    Amy stand auf und setzte sich zu ihr auf die
Kante der Pritsche. Mausami nahm ihre Hand und führte sie über ihren Bauch.
Amys Hand war warm und ein bisschen feucht, und ihre Fingerspitzen waren
eigenartig weich, nicht wie Mausamis, die nach jahrelangem Umgang mit dem Bogen
hart und schwielig waren.
    »Warte. Eben hat es noch gestrampelt.«
    Eine kurz aufflackernde Bewegung. Amy zog hastig
die Hand weg.
    »Hast du es gefühlt?« Amy riss freudig
erschrocken die Augen auf. »Es ist okay - das tun Babys. Hier ...« Sie nahm
Amys Hand und legte sie wieder auf ihren Bauch. Sofort zappelte und strampelte
das Baby. »Wow, das war kräftig.«
    Jetzt lächelte Amy auch. Wie seltsam und
wunderbar, dachte Mausami, inmitten all dessen, was passierte, zu spüren, wie
das Kind sich in ihr bewegte. Ein neues Leben, ein neuer Mensch, der in die
Welt kommen würde.
    Dann hörte sie es. Drei Worte.
    Er ist hier.
    Mausami machte einen Satz nach hinten. Sie
drückte den Rücken an die Wand. Das Mädchen starrte sie durchdringend an, und
ihre Augen waren wie zwei helle Lichtstrahlen.
    »Wie hast du das gemacht?« Sie zitterte. Gleich
würde ihr schlecht werden.
    Er ist in dem Traum. Mit Babcock. Mit den
Vielen. »Wer ist hier, Amy?« Theo.
Theo ist hier.
     
    51
     
    Er war Babcock, und er war es für immer. Er war
einer der Zwölf und auch der Andere. Er war Zero. Er war die Nacht der Nächte,
und er war Babcock gewesen, bevor er wurde, was er war. Vor dem großen Hunger,
der in ihm war wie die Zeit selbst, eine Strömung im Blut, endlos und
notleidend, uferlos und ohne Grenzen, ein dunkler Flügel, ausgebreitet über
der Welt.
    Er war gemacht aus den Vielen. Tausend mal
tausend mal tausend, wie die Sterne verstreut über den Nachthimmel. Er war
einer der Zwölf und auch der Andere, Zero, aber seine Kinder waren auch in ihm,
sie, die die Saat seines Blutes in sich trugen, die Saat der Zwölf. Sie
bewegten sich, wie er sich bewegte, sie dachten, wie er dachte, und in ihren
Köpfen war ein leerer Raum des Vergessens, in dem er war, in jedem, und sagte: Du wirst nicht sterben. Du bist ein Teil von mir, wie ich
ein Teil von dir bin. Du wirst das Blut der Welt trinken und mich damit füllen.
    Sie gehorchten seinem Kommando. Wenn sie aßen,
aß er. Wenn sie schliefen, schlief er. Sie waren Wir, der Babcock, und sie
waren es für immer, wie er es für immer war, allesamt Teil der Zwölf und

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