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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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in einem konturlosen
Dämmerschlaf versunken, als er hörte, wie die Tür aufging. Ein Mädchen kam um
den Wandschirm herum. Jünger als Billie, aber in dem gleichen komischen orangegelben
Anzug und mit dem strengen Haarschnitt. Sie trug ein Tablett. »Ich dachte, du
hast vielleicht Hunger.«
    Sie kam näher, und der Duft von warmem Essen
durchfuhr seine Sinne wie ein elektrischer Schlag. Er hatte plötzlich einen
Mordshunger. Das Mädchen setzte ihm das Tablett auf den Schoß. Irgendein
Fleisch in einer braunen Sauce, Kohlgemüse und - das Beste von allem - eine
dicke Scheibe Brot mit Butter. Daneben, in eine Serviette gewickelt, lag
Metallbesteck.
    »Ich bin Michael«, sagte er.
    Das Mädchen nickte zaghaft und lächelte. Wieso
lächelten hier immer alle?
    »Ich bin Mira.« Sie wurde rot. Die Haarstoppeln
auf ihrem Kopf waren so hell, dass sie praktisch weiß aussahen, wie bei einem
Kind. »Ich habe dich gepflegt.«
    Michael fragte sich, was das genau heißen sollte.
In den letzten Stunden war die Erinnerung bruchstückweise zurückgekommen.
Stimmen, Formen, Gestalten, die sich um ihn herumbewegten, Wasser an seinem
Körper, Feuchtigkeit an seinem Mund.
    »Ich glaube, ich muss mich bedanken.«
    »Oh, ich hab's gern getan.« Sie betrachtete ihn
kurz. »Du bist wirklich von draußen, ja?«
    »Draußen?«
    Sie zuckte leicht die Achseln. »Es gibt hier,
und es gibt draußen.« Sie deutete mit dem Kinn auf das Tablett. »Willst du
nicht essen?«
    Er fing mit dem Brot an. Es war weich und wundervoll
im Mund. Dann machte er sich an das Fleisch und schließlich an das Gemüse - faserig
und bitter, aber trotzdem gut. Das Mädchen hatte sich neben seinem Bett auf
einen Stuhl gesetzt. Sie ließ ihn nicht aus den Augen und beobachtete ihn
hingerissen, als sei jeder Bissen auch für sie ein Genuss. Was für seltsame
Leute.
    »Danke«, sagte er, als nur noch ein Rest Fett
auf dem Teller übrig war. Wie alt war sie eigentlich? Sechzehn? »Das war
fantastisch.«
    »Ich kann dir noch etwas bringen. Was immer du
willst.«
    »Nein, wirklich, ich schaffe nichts mehr.«
    Sie nahm ihm das Tablett vom Schoß und stellte
es zur Seite. Er dachte, sie wolle gehen, aber stattdessen kam sie auf ihn zu
und blieb dicht an seinem Bett stehen.
    »Ich ... sehe dir gern zu, Michael.«
    Sein Gesicht wurde warm. »Mira? Du heißt Mira,
ja?«
    Sie nickte, nahm seine Hand von der Bettdecke
und umschloss sie mit ihrer eigenen. »Es gefällt mir, wie du meinen Namen
sagst.«
    »Ja, äh, hm ...«
    Aber er konnte nicht weitersprechen, denn
plötzlich küsste sie ihn. Sanft und süß durchflutete es seinen Mund, und seine
Sinne entgleisten. Sie küsste ihn! Unglaublich! Und er küsste sie wieder!
    »Poppa sagt, ich kann ein Baby bekommen«, sagte
sie, und ihr Atem war warm auf seinem Gesicht. »Wenn ich ein Baby bekomme, muss
ich nicht in den Ring. Poppa sagt, ich kann nehmen, wen ich will. Darf ich dich
nehmen, Michael? Darf ich dich nehmen?«
    Er versuchte zu denken, zu verarbeiten, was sie
da redete und was hier passierte - ihren Geschmack und auch die Tatsache, dass
sie jetzt anscheinend auf ihn gestiegen war und rittlings auf seinen Hüften
saß und ihr Gesicht immer noch an seins schmiegte. Es war ein Zusammenprall
spontaner Empfindungen, der ihn in einen Zustand stummer Fügsamkeit versetzte.
Ein Baby? Sie wollte ein Baby? Und wenn sie ein Baby bekäme, brauchte sie
keinen Ring?
    »Mira!«
    Einen Moment lang war er völlig durcheinander.
Das Mädchen war mit einem Satz verschwunden. Der Raum war plötzlich voll von
Männern, großen Männern in orangegelben Overalls, deren Körpermassen alles
ausfüllten. Einer von ihnen hatte Mira beim Arm gepackt. Kein Mann: Es war
Billie.
    »Ich werde so tun«, sagte Billie zu dem Mädchen,
»als hätte ich nichts gesehen.«
    »Hört zu«, sagte Michael, als er seine Stimme
wieder gefunden hatte, »es war meine Schuld, was immer ihr glaubt, gesehen zu
haben ...«
    Billie nagelte ihn mit einem eiskalten Blick
fest. Einer der Männer kicherte.
    »Du brauchst nicht so zu tun, als wäre es deine
Idee gewesen.« Dann nahm sie Mira ins Visier. »Und du gehst nach Hause!«,
befahl sie ihr. »Sofort!«
    »Er gehört mir! Er ist für mich!«
    »Mira, es reicht. Du gehst sofort nach Hause und
wartest da. Rede mit niemandem. Hast du mich verstanden?«
    »Er ist nicht für den Ring!«, rief Mira. »Das
hat Poppa gesagt!«
    Wieder dieses Wort, dachte Michael. Der Ring.
Was war der Ring?
    »Er wird es sein, wenn du jetzt

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