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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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daran.
    »Und welchen Teil davon isst man?«, fragte Maus.
    »Das hängt wohl davon ab, wie hungrig man ist.«
    Dann küsste er sie. Ein Glücksgefühl
durchströmte sie. Er war immer noch Theo, ihr Theo. Sie spürte es in seinem
Kuss. Was immer in dieser Zelle passiert war, sie hatte ihn nicht verloren.
    »Jetzt ich«, sagte sie; sie schob ihn weg, nahm
die Rute und warf die Schnur aus, wie er es getan hatte.
    Sie füllten den ganzen Eimer mit zappelnden
Fischen. Der Fluss war voll davon - es kam ihnen vor wie ein übertrieben
extravagantes Geschenk. Der weite blaue Himmel, der sonnenhelle Fluss, die
vergessene Landschaft, und sie mitten in all dem: Das alles war wie ein Wunder.
    Als sie zum Haus zurückgingen, musste Maus
wieder an die Familie auf den Fotos denken. An die Mutter und den Vater und an
die beiden Mädchen und den Jungen mit der Zahnlücke und dem triumphierenden
Lachen. Sie hatten hier gewohnt und waren hier gestorben. Aber vor allem, da
war sie sicher, hatten sie gelebt.
    Sie nahmen die Fische aus und legten das zarte
Fleisch auf den Rost in der Räucherkammer; morgen würden sie es zum Trocknen in
die Sonne legen. Einen Fisch hatten sie für das Abendessen aufgehoben; sie
brieten ihn in der Pfanne mit ein paar Zwiebeln und einer Kartoffel.
    Als die Sonne unterging, nahm Theo die
Schrotflinte, die in der Küche an ihrem Platz in der Ecke stand. Maus stellte
die Teller in den Schrank. Sie drehte sich um und sah, wie er die Patronen
auswarf - drei Stück -, sie in der flachen Hand hielt und den Staub wegblies.
Dann schob er sie wieder ins Magazin. Er zog sein Messer aus dem Gürtel und
wischte es an seiner Hose ab.
    »Tja.« Er räusperte sich. »Ich glaube, es ist
Zeit.«
    »Nein, Theo.«
    Sie stellte den letzten Teller ab, kam zu ihm,
nahm ihm das Gewehr aus der Hand und legte es auf den Küchentisch.
    »Wir sind hier sicher. Ich weiß es.« Und noch
während sie diese Worte aussprach, spürte sie ihre Wahrheit. Sie waren in
Sicherheit, weil sie es glaubte. »Geh nicht.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das ist
keine besonders gute Idee, Maus.«
    Sie küsste ihn, langsam und ausgiebig, damit er
es wusste. Sie waren in Sicherheit, sie beide. Das Baby in ihrem Bauch bekam
einen Schluckauf.
    »Komm ins Bett, Theo«, sagte Mausami. »Ich will,
dass du mit mir ins Bett kommst. Jetzt.«
     
    Es war der Schlaf, was er fürchtete. Das sagte
er ihr in dieser Nacht, als sie aneinandergeschmiegt im Dunkel lagen. Er konnte
nicht nicht schlafen, das wusste er.
Nicht schlafen war das Gleiche wie nicht essen oder wie nicht atmen. Es war,
als halte man den Atem an, so lange man konnte, bis kleine Lichtpunkte vor den
Augen tanzten und jede Faser des Körpers nur noch ein Wort sagte: Atme! So war es in der Zelle gewesen, tagelang, Tag um Tag.
    Und jetzt: Der Traum war vorbei, doch das Gefühl
des Traums nicht. Nicht die Angst, er könnte die Augen schließen und sich
wieder in dieser Welt finden. Denn wenn das Mädchen nicht gewesen wäre, hätte
er es getan. Er hätte die Frau getötet. Er hätte jeden getötet. Er hätte alles
getan, was sie wollten. Und wenn du das erst über dich weißt, sagte er, kannst
du dieses Wissen nicht mehr abschütteln. Wer immer du zu sein glaubtest, jetzt
bist du jemand anders, ganz und gar.
    Sie hielt ihn fest, während er redete. Seine
Stimme klang dünn in der Dunkelheit, und dann schwiegen sie beide sehr lange.
    Maus? Bist du noch wach?
    Ich bin hier. Aber das stimmte nicht;
tatsächlich war sie eingedöst.
    Er kuschelte sich an sie, zog ihren Arm über
seine Brust wie eine wärmende Decke. Bleib wach für mich, sagte er. Kannst du
das? Bis ich schlafe.
    Ja, sagte sie. Ja, das kann ich.
    Eine Zeitlang war er still. In der
Lückenlosigkeit zwischen ihren Körpern strampelte das Baby. Wir sind hier
sicher, Theo. Solange wir zusammen sind, sind wir sicher. Ich hoffe, das ist
wahr, sagte er dann.
    Ich weiß, dass es wahr ist, sagte Mausami. Aber
auch als sie spürte, wie er langsamer atmete und endlich einschlief, hielt sie
die Augen offen und starrte in die Dunkelheit. Es ist wahr, dachte sie, weil
es wahr sein muss.
     
    59
     
    Als sie in der Garnison ankamen, war es
Nachmittag. Ihre Rucksäcke hatten sie zurückbekommen, ihre Waffen nicht. Sie
waren keine Gefangenen, aber es stand ihnen auch nicht frei, zu gehen, wohin
sie wollten. Der Ausdruck, den der Major benutzt hatte, war »Schutzhaft«. Vom
Fluss aus marschierten sie geradewegs nach Norden über den Bergkamm.

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