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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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zu ihren Füßen. Sie ging in die Knie und
schob die dicke Schicht von braunen Blättern zur Seite.
    »O Scheiße!«
    Peter hörte das Ächzen eines herabfallenden
Gewichts. Bevor er ein Wort herausbrachte, hatte das Netz sie verschlungen. Sie
wurden hochgehoben und stiegen in die Luft, schreiend und umeinanderpurzelnd,
in die Maschen verstrickt. Einen Augenblick lang schwebte alles in der
Schwerelosigkeit, und dann ging es wieder hinunter. Das Netz presste sie zu
einem einzigen in sich verkeilten, wehrlosen Klumpen zusammen.
    Peter hing kopfüber in den Maschen. Jemand lag
auf ihm - Hollis. Hollis und Sara und dicht vor seinem Gesicht war ein Stiefel,
der zu Amy gehörte. Es war nicht zu erkennen, wo ein Körper aufhörte und der
andere anfing. Sie drehten sich in der Luft wie ein Kreisel. Der Druck auf
seiner Brust war so stark, dass er kaum atmen konnte. Seine Wange drückte sich
an die Maschen, die aus einem starken, faserigen Garn geflochten waren. Der
Boden unter ihm war ein rasender Strudel von zerlaufenden Farben. »Lish!«
    »Ich kann mich nicht rühren!«
    »Kann es jemand?«
    »Ich glaube, mir wird schlecht!« Das war
Michael.
    Saras Stimme war schrill vor Panik. »Michael,
wag es ja nicht!«
    Peter kam nicht an sein Messer. Aber selbst wenn
er es hätte erreichen können - wenn er die Maschen durchtrennte, würden sie
alle kopfüber zu Boden stürzen. Das Kreiseln wurde langsamer, hörte auf und
ging dann andersherum wieder los, immer schneller. Irgendwo über sich im Gewirr
der Gliedmaßen hörte er Michael würgen.
    Sie drehten und drehten sich, und dann drehten
sie sich wieder. Bei der sechsten Rotation entdeckte Peter aus den Augenwinkeln
ein leichtes Zittern im Unterholz. Als sei der Wald zum Leben erwacht und
rücke heran. Aber inzwischen war ihm so schwummerig, dass er nicht mehr
sprechen konnte.«Gottverdammt noch mal«, sagte eine Stimme unter ihnen. »Das
sind Sprengs.«
    Und dann sah Peter sie: Es waren Soldaten.
     
    58
     
    In den ersten Tagen schlief Mausami - sechzehn,
achtzehn, zwanzig Stunden hintereinander. Theo hatte die Mäuse aus dem
Schlafzimmer im Obergeschoss vertrieben; er hatte sie mit einem Besen und
lautem Geschrei die Treppe hinunter und zur Tür hinausgejagt. In einem Wandschrank
hatten sie einen Haufen Laken und Decken gefunden, mit gespenstischer Sorgfalt
zusammengelegt. Sie rochen alt und staubig. Und sogar zwei Kissen waren da,
eins für ihren Kopf und eins, das sie unter die Knie klemmen konnte, um ihren
Rücken zu entlasten. Ein heftiger Schmerz schoss ihr jetzt immer wieder durchs
Bein: das Baby, das auf ihre Wirbelsäule drückte. Sie betrachtete es als ein
Zeichen dafür, dass alles so war, wie es sein musste: Das Baby machte sich
Platz in der Enge ihres Bauches. Theo kam und ging, umgluckte sie wie eine
Krankenschwester und brachte ihr Essen und Wasser. Nachmittags schlief er auf
dem alten, durchgelegenen Sofa im Erdgeschoss, und wenn es Abend wurde,
schleppte er einen Sessel hinaus auf die Veranda, und dort saß er die ganze
Nacht hindurch, ein Schrotgewehr auf dem Schoß, und starrte in die Dunkelheit
hinaus.
    Dann wachte sie eines Morgens frisch und
gestärkt auf. Die Zeit der Entkräftung war vorbei, die Tage der Ruhe hatten ihre
Wirkung getan. Sie setzte sich auf und sah, dass die Sonne zum Fenster
hereinschien. Die Luft war kühl und trocken, und ein leichter Wind bewegte die
Vorhänge. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie das Fenster geöffnet hatte,
aber vielleicht hatte Theo es getan, irgendwann in der Nacht.
    Das Baby drückte auf ihre Blase. Theo hatte ihr
den Eimer dagelassen, doch sie wollte ihn nicht benutzen. Sie brauchte ihn
nicht mehr. Sie würde sich auf den weiten Weg zum Abort machen, um Theo zu
zeigen, dass sie endlich wieder bei Kräften war.

Er war irgendwo unten im Haus zugange. Sie stand
auf, zog einen Pullover über das lang herabhängende Hemd - sie war jetzt viel
zu dick für das einzige Paar Hosen, das sie hatte - und ging die Treppe
hinunter. Ihr Schwerpunkt schien sich über Nacht verlagert zu haben; mit ihrem
weit vorgewölbten Bauch fühlte sie sich unförmig und schwerfällig. Vermutlich
musste man sich daran einfach gewöhnen. Nicht mal im sechsten Monat, und schon
so dick.
    Sie kam in ein Zimmer, an das sie sich kaum
erinnern konnte. Es dauerte einen Moment, bis sie begriffen hatte, dass hier
viel verändert worden war. Das Sofa und die Sessel, die an den Wänden
gestanden hatten, waren in die Mitte des Zimmers gerückt

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