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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Pflicht.
Sie nahm das Messer in die Faust und kniete vor Muncey nieder. Er wartete mit
gesenktem Kopf, die Hände schlaff im Schoß. Alicia beugte sich ihm entgegen,
bis ihre Stirnen einander berührten. Peter sah, dass ihre Lippen sich bewegten.
Sie murmelte ihm leise etwas zu. Er empfand kein Entsetzen, nur Staunen. Der
Augenblick war erstarrt - nicht Teil eines Stroms von Ereignissen, sondern fest
und einzigartig. Hier war eine Grenze, hinter der es kein Zurück mehr gab, wenn
sie einmal überschritten wäre. Dass Muncey sterben würde, war nur ein Teil von
dem, was dies bedeutete.
    Das Messer tat sein Werk, fast bevor Peter
begriff, was passierte. Als Alicia die Hand sinken ließ, steckte es bis zum
Heft in Munceys Brust. Seine Augen waren weit aufgerissen und feucht, sein Mund
stand offen.
    Alicia hielt jetzt sein Gesicht umfasst, sanft
wie die Hände einer Mutter. »Ganz ruhig jetzt, Muncey«, sagte sie. »Ganz
ruhig.« Ein bisschen Blut quoll auf seine Lippen. Er atmete noch einmal und
hielt die Luft in der Brust, als wäre es nicht Luft, sondern mehr als das: der
süße Geschmack der Freiheit, des Endes aller Sorgen. Alles war getan und vorbei.
Dann wich das Leben aus ihm, und er sank nach vorn. Alicia fing ihn in den
Armen auf und ließ seinen Körper sanft auf den schlammigen Boden der Garnison
gleiten.
     
    Am nächsten und am übernächsten Tag bekam Peter
sie nicht zu sehen. Er dachte daran, ihr durch Greer eine Nachricht zukommen zu
lassen, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Im Grunde seines Herzens
kannte er die Wahrheit: Alicia war fort. Sie war in ein anderes Leben
gewechselt, an dem er keinen Anteil hatte.
    Sie hatten insgesamt sechsundvierzig Mann
verloren, unter ihnen auch General Vorhees. Man musste annehmen, dass einige
von ihnen nicht tot, sondern befallen waren, und die Männer sprachen davon,
Suchtrupps auszusenden. Aber Greer lehnte ab. Das Zeitfenster für den Abmarsch
und das Zusammentreffen mit dem Dritten Bataillon würde sich bald schließen.
Zweiundsiebzig Stunden, gab er bekannt, und dann sei Schluss.
    Am Ende des zweiten Tages war das Camp zum
großen Teil abgebaut. Proviant, Waffen, Ausrüstung, die größeren Zelte mit
Ausnahme der Messe: Alles war gepackt und marschfertig. Die Scheinwerfer würden
zurückbleiben, ebenso die großen Treibstofftanks, die jetzt fast leer waren,
und ein einzelner Humvee. Das Bataillon würde in zwei Gruppen nach Süden
marschieren: Eine kleine Vorhut zu Pferde, geführt von Alicia, würde die
Spitze übernehmen, und der Rest würde auf LKWs und zu Fuß folgen. Alicia war
jetzt Offizier. Nachdem so viele Männer gefallen waren - nur zwei Truppführer
waren übrig -, waren die Reihen der Offiziere dünn geworden, und deshalb hatte
Greer sie befördert. Sie war jetzt Lieutenant Donadio.
    Viele Männer waren verwundet. Hauptsächlich
waren es leichte Verletzungen - Schnittwunden, Schrammen, Verstauchungen -,
aber ein Soldat hatte ein gebrochenes Schlüsselbein, und zwei andere, Sancho
und Withers, hatten bei der Bombenexplosion schwere Verbrennungen erlitten. Die
beiden Sanitäter des Bataillons waren tot, und deshalb hatte Sara mit Amys
Hilfe die Versorgung der Verwundeten übernommen und sie so gut wie möglich für
den Marsch nach Süden präpariert. Peter und Hollis waren den Packern
zugewiesen worden. Sie hatten die Aufgabe, den Inhalt zweier großer
Vorratszelte durchzusehen, auszusortieren, was mitgenommen werden sollte, und
den Rest in einer Reihe von Gruben einzulagern, die überall auf dem Gelände ausgehoben
worden waren. Michael war bei den Mechanikern mehr oder minder verschwunden; er
schlief in der Mannschaftsunterkunft und nahm seine Mahlzeiten Seite an Seite
mit den anderen Ölhänden ein. Sogar sein Name war verschwunden. Er hieß jetzt
Radmutter.
    Über allem hing die Frage der Evakuierung wie
ein Schwert. Peter hatte Greer noch immer keine Antwort gegeben, denn Tatsache
war, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Die andern - Sara, Hollis,
Michael und sogar Amy auf ihre stille, in sich gekehrte Art - warteten ab und
ließen ihn in Ruhe entscheiden. Dass sie das Thema mit keinem Wort erwähnten,
machte das alles nur deutlicher. Aber was wusste er - vielleicht gingen sie
ihm auch nur aus dem Weg. So oder so, sich von den Soldaten zu trennen erschien
jetzt gefährlicher denn je. Greer hatte ihn gewarnt: Nachdem sie das Bergwerk
aufgemischt hatten, würde es im Wald bestimmt nur so von Virais wimmeln.
Vielleicht wäre es besser,

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