Cronin, Justin
ablassen, das noch in dem Tankfahrzeug ist. Ich wollte eben hin.«
»Ich bin auf der Suche nach Lish.« Als Wilco ihn
verständnislos anstarrte, erklärte er: »Lieutenant Donadio.«
»Ich bin nicht sicher ...«
»Sag ihr einfach, dass ich hier bin.«
Wilco zuckte die Schultern und duckte sich ins
Zelt zurück. Peter spitzte die Ohren, um zu hören, was drinnen gesprochen
wurde. Aber die Stimmen waren verstummt. Er wartete so lange, bis er sich
fragte, ob Alicia vielleicht gar nicht kommen würde. Aber dann wurde die Klappe
zur Seite geschlagen, und sie kam heraus.
Zu sagen, sie sah verändert aus, wäre nicht
zutreffend gewesen, dachte er. Sie war einfach
verändert. Die Frau, die vor ihm stand, war die Alicia, die er immer gekannt
hatte, aber zugleich war sie eine ganz neue Person. Sie hatte die Arme
verschränkt, und trotz der Kälte trug sie nur ein T-Shirt. In den letzten Tagen
waren die abrasierten Haare ein wenig nachgewachsen; ein geisterhafter Flaum
schimmerte auf der Kopfhaut wie eine leuchtende Mütze im Licht der
Scheinwerfer. Aber das alles war es nicht, was diesen Augenblick so merkwürdig
machte. Es war die Art, wie sie dastand und sich von ihm fernhielt.
»Ich habe von deiner Beförderung gehört«, sagte
er. »Gratuliere.«
Alicia antwortete nicht.
»Lish ...«
»Du solltest nicht hier sein, Peter. Ich sollte
nicht mit dir reden.«
»Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, dass ich
es verstehe. Im ersten Moment habe ich es nicht verstanden. Aber jetzt schon.«
»Tja.« Sie schwieg und schlang fröstelnd die
Arme um sich. »Was hat dich umgestimmt?«
Er wusste nicht genau, was er darauf antworten
sollte. Plötzlich hatte er alles vergessen, was er ihr hatte sagen wollen.
Munceys Tod hatte etwas damit zu tun, sein Vater und auch Amy. Aber der
eigentliche Grund war etwas, für das er keine Worte hatte.
Er sagte das Einzige, was ihm einfiel. »Im
Grunde war es Hollis' Gitarre.«
Alicia sah ihn verständnislos an. »Hollis hat
eine Gitarre?«
»Er hat sie von einem der Soldaten bekommen.«
Peter brach ab; er konnte es nicht erklären. »Entschuldige. Ich rede wirres
Zeug.«
Es war, als habe sich in seiner Brust etwas
geöffnet, und er wusste, was es war: das schmerzhafte Gefühl, einen Menschen zu
vermissen, bevor er ihn verlassen hatte.
»Na, danke, dass du es mir sagst. Aber ich muss
wirklich wieder hinein.«
»Lish, warte.«
Alicia drehte sich um und sah ihn mit
hochgezogenen Brauen an.
»Warum hast du es mir nie erzählt? Das mit dem
Colonel.«
»Bist du deshalb hier? Um mich nach dem Colonel
zu fragen?« Sie seufzte und schaute weg. Sie wollte nicht darüber reden. »Weil
er nicht wollte, dass jemand es erfährt. Wer er war.«
»Aber warum denn nicht?«
»Was hätte er sagen sollen, Peter? Er war ganz
allein. Er hatte alle seine Leute verloren. Und wäre dabei lieber mit ihnen in
den Tod gegangen.« Sie atmete durch. »Und was den ganzen Rest angeht, ich
glaube, er hat mich auf die einzige Art und Weise großgezogen, die er kannte.
Ich weiß es nicht. Lange Zeit hat es mir einfach Spaß gemacht, weißt du.
Geschichten über mutige Männer, die durch die Darklands ziehen und kämpfen und
sterben. Den Eid ablegen. Ein Haufen Hokuspokus, der mir nichts weiter sagte.
Es waren Worte. Und dann war ich wütend. Ich war acht damals, Peter. Acht Jahre
alt, und er hat mich vor die Mauer gebracht, durch den Tunnel mit der
Hauptstromleitung hindurch, und hat mich da alleingelassen. Die ganze Nacht,
mit nichts, nicht mal ein Messer hatte ich. Davon hast du nie was erfahren.«
»Was ist passiert?«, fragte er dann.
»Nichts. Wenn etwas passiert wäre, wäre ich tot.
Ich habe einfach unter einem Baum gesessen und die ganze Nacht geweint. Bis
heute weiß ich nicht, was er auf die Probe stellen wollte, meinen Mut oder mein
Glück.«
Das konnte nicht alles sein. »Er muss da draußen
in deiner Nähe gewesen sein und auf dich aufgepasst haben.«
»Kann sein.« Sie hob das Gesicht in den
winterlichen Himmel. »Manchmal denke ich es auch, und manchmal nicht. Du hast
ihn nicht gekannt, wie ich ihn kannte. Danach habe ich ihn gehasst, ewig lange.
Habe ihn wirklich und wahrhaftig gehasst. Aber man kann niemanden endlos
hassen.« Wieder atmete sie ein, tief und resigniert. »Ich hoffe, das stimmt
auch für dich, Peter. Dass du es irgendwann über dich bringst, mir zu
verzeihen.« Sie zog die Nase hoch und wischte sich über die Augen. »Das ist
alles. Ich habe jetzt schon zu viel gesagt. Ich bin nur
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