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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Sie
setzte sich rasch auf und sah Amy in der Tür. Lacey warf einen Blick auf die
Uhr. Es war gerade Mitternacht; sie hatte erst zwei Stunden geschlafen.
    »Was ist denn, Kind?«, fragte sie leise. »Fehlt
dir was?«
    Das kleine Mädchen kam herein. Ihr Pyjama
schimmerte im Licht der Straßenlaterne vor Laceys Fenster, und es sah aus, als
sei sie von lauter Monden und Sternen umhüllt. Einen Moment lang fragte Lacey
sich, ob das Kind schlafwandelte.
    »Amy, hast du schlecht geträumt?«
    Doch Amy sagte nichts. Im Dunkeln konnte Lacey
ihr Gesicht nicht sehen. Sie schlug die Bettdecke beiseite, um dem Kind Platz
zu machen. »Es ist alles gut. Komm her.«
    Wortlos kletterte Amy zu ihr in das schmale
Bett. Ihr Körper strahlte Hitzewellen aus - kein Fieber, aber auch keine
gewöhnliche Hitze. Sie glühte wie ein Stück Kohle.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Lacey.
»Hier kann dir nichts passieren.«
    »Ich möchte hierbleiben«, sagte Amy.
    Lacey begriff, dass sie nicht das Zimmer oder
das Bett meinte. Sie wollte für immer hierbleiben, hier leben. Lacey wusste
nicht, was sie darauf antworten sollte. Am Montag würde sie Schwester Arnette
die Wahrheit sagen müssen; das war einfach unvermeidlich. Was dann - mit ihnen
beiden - passieren würde, wusste sie nicht. Jetzt sah sie es ganz klar und
deutlich: Durch ihre Lüge hatte sie ihr und Amys Schicksal unauflöslich
miteinander verknüpft.
    »Wir werden sehen.«
    »Ich sag's auch niemandem. Lass sie mich nicht
wegbringen.«
    Ein Schauer der Angst lief ihr über den Rücken.
»Wer, Amy? Wer will dich wegbringen?« Amy antwortete nicht.
    »Mach dir keine Sorgen.« Lacey legte den Arm um
Amy und zog sie an sich. »Schlaf jetzt. Wir brauchen unsere Ruhe.«
    Aber Lacey lag noch stundenlang wach im Dunkeln,
mit weit offenen Augen.
     
    Es war kurz nach drei Uhr morgens, als Wolgast
und Doyle in Baton Rouge ankamen und in Richtung Norden weiterfuhren, auf die
Grenze nach Mississippi zu. Doyle hatte die erste Schicht am Steuer übernommen,
von Houston bis in die Gegend östlich von Lafayette, während Wolgast zu
schlafen versucht hatte. Kurz nach zwei hatten sie abseits des Highways an
einem Waffle House angehalten und die Plätze getauscht, und seitdem hatte Doyle
sich fast nicht gerührt. Es nieselte ganz leicht, gerade so viel, um die
Windschutzscheibe mit einem feuchten Schleier zu überziehen.
    Im Süden lag der Bundeseigene Industriebezirk
New Orleans, und Wolgast war froh, dort nicht hinzumüssen. Allein der Gedanke
daran war deprimierend. Er war ein einziges Mal im alten New Orleans gewesen.
Mit Freunden vom College war er zum Mardi Gras gefahren und hatte sich sofort
von der unbändigen Energie dieser Stadt anstecken lassen - von ihrer
pulsierenden Freizügigkeit, ihrem intensiven Lebensgefühl. Drei Tage lang
hatte er kaum geschlafen und auch nicht das Bedürfnis dazu gehabt. Eines frühen
Morgens dann hatte er sich in der »Preservation Hall« wiedergefunden - trotz
des wohlklingenden Namens war es kaum mehr als ein Schuppen gewesen, und
höllisch heiß noch dazu - und einem Jazzquartett zugehört, das den »St. Louis
Blues« spielte, und da hatte er gemerkt, dass er seit fast achtundvierzig Stunden
ununterbrochen auf den Beinen gewesen war. Die Luft in dem Laden war dick wie
in einem Treibhaus, und alle tanzten und klatschten dicht zusammengedrängt,
Scharen von Leuten jeden Alters und sämtlicher Hautfarben. Wo sonst fand man
sich um fünf Uhr morgens wieder und hörte vier alten Schwarzen zu - keiner von
ihnen war auch nur einen Tag jünger als achtzig -, wie sie Jazzmusik spielten?
Aber dann war 2005 Hurrikan Katrina über die Stadt gekommen und ein paar Jahre
später Hurrikan Vanessa - ein ausgewachsenes Monstrum der Kategorie fünf, das
mit einer Windgeschwindigkeit von 180 Meilen pro Stunde auf das Land zugerast
war und eine zehn Meter hohe Flutwelle vor sich hergetrieben hatte -, und das
war dann das Ende gewesen. Jetzt war dieser Ort kaum mehr als eine riesige
petrochemische Raffinerie, umgeben von einem überfluteten Tiefland, das so
verpestet war, dass das Wasser aus den stinkenden Lagunen einem die Haut von
der Hand ätzen konnte. In der Stadt selbst lebte niemand mehr; sogar der Himmel
darüber war für jeglichen Flugverkehr gesperrt, lediglich ein Geschwader
Kampfjets von der Kessler Air Force flog dort Patrouillen. Das ganze Gelände
war durch Zäune gesichert und wurde von Verbänden des Heimatschutzministeriums
in voller Kampfmontur

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