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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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auf der Bettkante saß, dachte
sie, dass es Amy dort vielleicht gefallen könnte. Vielleicht war sie überhaupt
noch nie im Zoo gewesen. Da Lacey nichts für die armen Tiere tun konnte,
erschien es ihr nicht sündhaft, ein kleines Mädchen, das so wenig Freude in
seinem Leben hatte, zu ihnen zu bringen. Das wäre nicht so, als würde sie ein
zweites Unrecht auf das erste setzen. Sie wollte Schwester Arnette am nächsten
Morgen danach fragen, wenn sie wegen des Bettvorlegers mit ihr spräche.
    »So«, sagte sie und stopfte die Decke um Amy
fest. Die Kleine lag ganz still - fast als wage sie es nicht, sich zu bewegen.
»So ist alles gut. Und ich bin gleich nebenan, falls du etwas brauchst. Morgen
unternehmen wir etwas Lustiges, warte nur ab. Wir beide zusammen.«
    »Kannst du das Licht anlassen?«
    Lacey versprach es. Sie beugte sich über das
Kind und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Die Luft um Amy herum roch nach
Marmelade, aber das kam von dem Shampoo.
    »Deine Schwestern sind nett«, sagte sie.
    Lacey musste lächeln; bei allem, was passiert
war, hatte sie mit diesem Missverständnis irgendwie nicht gerechnet. »Ja. Hm.
Das ist schwer zu erklären. Weißt du, wir sind keine richtigen Schwestern - nicht, wie du es meinst. Wir haben nicht
dieselben Eltern. Aber trotzdem sind wir Schwestern.«
    »Wie geht denn das?«
    »Oh, es gibt noch andere Möglichkeiten,
Schwestern zu sein. Wir sind Schwestern im Geiste. Schwestern in den Augen
Gottes.« Sie gab Amys Hand einen Stups. »Sogar Schwester Arnette.«
    Amy runzelte die Stirn. »Sie ist muffelig.«
    »Das stimmt. Aber so ist sie eben. Sie ist froh,
dass du hier bist. Wie alle hier. Ich glaube, wir haben gar nicht gewusst, was
uns entgeht, bis du hergekommen bist.« Noch einmal berührte sie Amys Hand, und
dann stand sie auf. »Jetzt ist genug geredet. Du brauchst deinen Schlaf.«
    »Ich verspreche, dass ich still sein werde.«
    Lacey blieb in der Tür stehen. »Das brauchst du
nicht«, sagte sie.
     
    In dieser Nacht hatte Lacey einen Traum, und
darin war sie wieder ein kleines Mädchen in den Feldern hinter ihrem Haus. Sie
kauerte unter einem niedrigen Palmbusch, dessen lange Wedel sie umgaben wie
ein Zelt und an ihren Armen und ihrem Gesicht leckten. Ihre Schwestern waren
auch da - und rannten weg. Hinter ihnen hörte sie Männer - besser gesagt, sie
spürte sie, ihre dunkle Anwesenheit, sie hörte das Knallen von Schüssen und die
Stimme ihrer Mutter, die rief und schrie: Lauft weg, Kinder, lauft weg, so
schnell ihr könnt. Aber Lacey war vor Angst wie angewurzelt; es war, als habe
sie sich in eine neue Substanz verwandelt, in eine Art lebendes Holz: Sie
konnte keinen Muskel bewegen. Sie hörte, wie es wieder knallte, und bei jedem
Knall flammte ein Blitz auf und zerschnitt die Nacht wie ein Messer. In diesen
Momenten sah sie alles um sie herum, das Haus, die Felder und die Männer, die
sich darin bewegten, Männer, die sich anhörten wie Soldaten, allerdings nicht
so gekleidet waren, und die mit ihren Gewehrläufen über den Boden vor ihnen
fegten. So erschien ihr die Welt - in einer Serie von starren Bildern. Sie
hatte Angst, konnte jedoch nicht wegschauen. Ihre Beine und Füße waren nass und
merkwürdig warm: Sie merkte, dass sie sich in die Hose gemacht hatte, erinnerte
sich aber nicht mehr daran, wie es passiert war. Sie schmeckte bitteren Rauch
in Mund und Nase, Schweiß und noch etwas anderes, das sie kannte, ohne einen
Namen dafür zu haben. Es war der Geschmack von Blut.
    Dann spürte sie es: Jemand war in der Nähe. Es
war einer der Männer. Sie hörte das Rasseln seines Atems in der Brust, seine
tastenden Schritte, und sie roch die Angst und die Wut, die sein Körper
verströmte wie einen leuchtenden Dunst. Nicht bewegen, Lacey, sagte
die Stimme zu ihr, heiß und eindringlich. Nicht
bewegen. Sie schloss die Augen und wagte nicht einmal zu
atmen. Ihr Herz klopfte so wild in ihr, dass sie fast nichts anderes mehr war
als das: ein klopfendes Herz. Sein Schatten fiel auf sie, strich wie ein großer
schwarzer Flügel über ihr Gesicht und ihren Körper. Als sie die Augen wieder
öffnete, war er weg, das Feld war leer, und sie war allein.
    Starr vor Angst schreckte sie aus dem Schlaf.
Sie begriff, wo sie war, als der Traum endlich in ihr zerbrach. Er huschte um
eine Ecke und verschwand. Die Berührung der Blätter an ihrer Haut. Die
wispernde Stimme. Der Geruch wie von Blut. Aber jetzt war auch das verschwunden.
    Dann spürte sie es. Jemand war im Zimmer.

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