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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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und seine
Augen waren orangegelb wie Highway-Markierungskegel. Aber die Zähne waren das
Schlimmste. Ab und zu hörte Grey ein leises Klimpern aus dem Lautsprecher, und
dann wusste er, dass wieder ein Zahn aus Zeros Mund auf den Zementboden
gefallen war. Ein halbes Dutzend pro Tag regnete so herunter. Sie wanderten in
den Verbrennungsofen wie alles andere; es gehörte zu Greys Aufgaben, sie
aufzufegen, und es überlief ihn eisig, wenn er sie sah - so lang wie die
kleinen Spieße, die man in einem Cocktail bekam. Genau das Richtige, wenn man,
sagen wir, ein Kaninchen häuten und in zwei Sekunden ausweiden wollte.
    Etwas an Zero unterschied ihn von den anderen.
Nicht dass er sehr viel anders ausgesehen hätte.
Diese Glühstäbe waren allesamt hässliche Knilche, und im Laufe der sechs
Monate, die Grey jetzt auf Ebene vier arbeitete, hatte er sich an ihr Aussehen
gewöhnt. Natürlich gab es auch kleine Unterschiede, die man entdeckte, wenn man
genau hinschaute. Nummer sechs war ein bisschen kleiner als die andern, Nummer
neun ein bisschen aktiver, Nummer sieben hing beim Fressen gern mit dem Kopf
nach unten und machte dabei eine Heidensauerei, und Nummer eins plapperte
ständig vor sich hin und gab diese gespenstischen Laute von sich, die sie alle
machten: ein feuchtes Krächzen tief in der Kehle, das Grey an nichts erinnerte,
das er kannte.
    Nein, es war nichts äußerlich Sichtbares,
wodurch Zero sich von den andern abhob. Es war das Gefühl, das er weckte. Besser konnte Grey es nicht erklären. Die
andern interessierten sich für die Leute vor der Scheibe ungefähr so sehr wie
ein Haufen Schimpansen im Zoo. Aber bei Zero war es anders: Zero war
aufmerksam. Immer wenn sie das Gitter herunterließen und Zero im hinteren Teil
des Raums einschlossen, und wenn Grey sich in seinen Bioschutzanzug zwängte und
durch die Luftschleuse hineinging, um sauber zu machen oder die Kaninchen hineinzubringen
- Kaninchen, Herrgott, wieso mussten es Kaninchen
sein? -, kroch ein Prickeln an seinem Nacken herauf, als
krabbelten Ameisen über seine Haut. Er erledigte seine Arbeit schnell und
schaute fast nicht vom Boden auf, und wenn er wieder draußen und in der
Dekontaminationsschleuse war, brach ihm der Schweiß in Strömen aus, und er
atmete schwer. Sogar jetzt, mit einer zwei Zoll dicken Glasscheibe zwischen
ihnen, hinter der Zero so hing, dass Grey nur seine große, leuchtende Rückseite
und die gespreizten, klauenartigen Füße sehen konnte, spürte er, wie Zeros
Geist durch den Raum streifte - wie eine unsichtbare Schleppangel.
    Trotzdem musste Grey zugeben, dass es alles in
allem kein schlechter Job war. Er hatte in seinem Leben jedenfalls schon schlimmere
gehabt. Die meiste Zeit seiner Acht-Stunden-Schicht hatte er nichts weiter zu
tun als dazusitzen, Kreuzworträtsel abzuarbeiten, den Monitor im Auge zu
behalten, seine Berichte einzugeben - was Zero aß, was er nicht aß, wie viel
Pisse und Scheiße von ihm durch den Abfluss gingen - und ein Backup der
Festplatte zu machen, wenn ihre Kapazität nach hundert Stunden Videoaufnahmen
von Zero beim Nichtstun erschöpft war.
    Er fragte sich, ob die andern auch nicht fraßen.
Er würde einen der Techniker danach fragen. Vielleicht waren sie alle in den
Hungerstreik getreten, und vielleicht hatten sie auch bloß die Nase voll von
Kaninchen und wollten lieber Eichhörnchen oder Opossums oder Kängurus. Ein
komischer Gedanke angesichts der Art, wie diese Glühstäbe fraßen - Grey hatte
sich nur einmal gestattet, dabei zuzusehen, und das war einmal zu viel gewesen.
Er war dabei praktisch zum Vegetarier geworden. Aber er musste auch sagen,
dass sie dabei einen irgendwie kritischen Eindruck machten, als befolgten sie
bestimmte Regeln beim Essen. Das fing an mit dieser Geschichte um das zehnte
Kaninchen. Wer wusste schon, was da dahintersteckte? Man gab ihnen zehn
Kaninchen, sie fraßen neun und ließen das zehnte, wo es war, als wollten sie es
für später aufheben. Grey hatte mal einen Hund gehabt, der sich genauso benahm
- er hatte ihn Brownbear genannt, ohne besonderen Grund, denn er sah nicht
besonders bärenhaft aus und war nicht mal braun, seine Farbe war eher ein
sanftes Gold mit weißen Flecken um die Schnauze und auf der Brust. Dieser Hund
hatte seinen Napf jeden Morgen exakt halb leergefressen und die andere Hälfte
nachts verputzt. Grey hatte meistens schon geschlafen, wenn das passierte; er
wachte nachts um zwei oder drei Uhr auf, weil er hörte, wie der Hund in der Küche
sein

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