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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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zufrieden, wenn er meiner Mutter das Reden überlassen kann. Er ist glatt und flach wie Glas. Allerdings hat Adora auch nie zugelassen, dass wir uns näherkamen. Ich galt zwar als Alans Kind, doch er war mir kein Vater, und sie forderte mich nie auf, ihn anders als beim Vornamen zu nennen. Alan gab mir nie seinen Familiennamen, und ich habe auch nicht darum gebeten. Als ich klein war, versuchte ich es mal mit Dad, doch sein entsetztes Gesicht erstickte diesen Ansatz im Keim. Offen gesagt zieht Adora es wohl vor, wenn wir einander wie Fremde begegnen. Sie möchte bei allen Beziehungen die Fäden in der Hand behalten.
    Aber zurück zur Vergangenheit. Dem Baby. Marian war reizend, aber ständig krank. Von Anfang an litt sie unter Atemnot, wachte nachts keuchend auf, das Gesicht grau und geschwollen. Ich hörte sie aus ihrem Zimmer, das neben dem meiner Mutter lag, wie einen kränklichen Wind herüberwehen. Das Licht ging an, gurrende Laute erklangen, manchmal auch Weinen oder Schreien. Regelmäßige Fahrten in die Notaufnahme in Woodberry, die fünfundzwanzig Meilen entfernt war. Später bekam sie Verdauungsbeschwerden, saß aufrecht in dem Krankenhausbett, das man in ihrem Zimmer aufgestellt hatte, und murmelte ihren Puppen etwas vor, während meine Mutter sie durch Infusionsschläuche ernährte.
    In jenen Jahren riss sich meine Mutter sämtliche Wimpern aus. Sie konnte es einfach nicht lassen. Auf den Tischen blieben richtige Häufchen zurück. Für mich waren es Feennester. Ich weiß noch, wie zwei lange blonde Wimpern an meinem Fuß haften blieben und ich sie wochenlang neben meinem Kopfkissen aufbewahrte. Nachts kitzelte ich mir damit Wangen und Lippen, bis sie eines Morgens weggeflogen waren.
    Als meine Schwester schließlich starb, war ich irgendwie dankbar. Mir kam es vor, als hätte man sie auf die Welt gedrängt, obwohl sie noch nicht fertig war. Nicht bereit für diese Last. Die Menschen flüsterten sich zu, Marian sei in den Himmel zurückgerufen worden, doch meine Mutter ließ sich nicht von ihrer Trauer ablenken. Sie ist bis heute ihr Hobby geblieben.
     
    Mein blassblauer Wagen, der mit Vogelkot bedeckt war und dessen Ledersitze zu dampfen schienen, wirkte nicht gerade einladend. Dann lieber zu Fuß durch die Stadt. Auf der Main Street ging ich an der Geflügelhandlung vorbei, die Hühner frisch aus den Schlachthäusern von Arkansas verkauft. Der Geruch schoss mir in die Nase. Etwa ein Dutzend ausgenommener Vögel baumelte lasziv im Schaufenster, der Sims darunter war mit weißen Federn tapeziert.
    Am Ende der Straße, wo ein improvisierter Schrein für Natalie aus dem Gehweg gesprossen war, entdeckte ich Amma und ihre drei Freundinnen. Sie stöberten zwischen den Ballons, Trauerkarten und Geschenken. Drei passten auf, während sich meine Halbschwester zwei Kerzen, einen Blumenstrauß und einen Teddy schnappte. Kerzen und Blumen wanderten in ihre überdimensionale Handtasche. Den Teddy hielt sie im Arm, dann hakten sich die vier unter und hüpften spöttisch in meine Richtung. Sie kamen geradewegs auf mich zu und blieben unmittelbar vor mir stehen. Die Luft war erfüllt von einem schweren Parfümduft, wohl von Probestreifen aus irgendwelchen Illustrierten.
    »Hast du gesehen, was wir gerade gemacht haben? Kommen wir jetzt in deine Zeitung?«, kreischte Amma. Sie hatte die Sache mit dem Puppenhaus eindeutig überwunden. Solche kindlichen Anfälle gehörten nicht hierher. Statt des Kleides trug sie jetzt Minirock, Plateausandalen und Schlauchtop. »Falls ja, schreib meinen Namen bitte richtig: Amity Adora Crellin. Leute, das hier ist … meine Schwester. Aus Chicago.
Der Familienbastard.
« Ammas Augenbrauen zuckten, die Mädchen kicherten. »Camille, das sind meine liiieben Freundinnen, aber über sie brauchst du nicht zu schreiben. Ich habe hier das Sagen.«
    »Sie hat nur das Sagen, weil sie die Lauteste ist«, warf ein kleines Mädchen mit honigblondem Haar und rauer Stimme ein.
    »Und die größten Titten hat«, meinte eine andere, deren Haare die Farbe einer Messingglocke hatten.
    Die Dritte, sie war rotblond, grapschte nach Ammas linker Brust und drückte zu: »Teils echt, teils ausgestopft.«
    »Verpiss dich, Jodes«, sagte Amma und versetzte ihr eine Ohrfeige. Ein roter Fleck flammte im Gesicht des Mädchens auf, es murmelte eine Entschuldigung.
    »Was treibst du so, Schwester?«, fragte Amma mit Blick auf den Teddy. »Warum schreibst du eine Story über zwei tote Mädchen, für die sich vorher

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