Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
gekommen.
»Hi, Sweetheart, deine Mama hat erzählt, dass du hier bist.« Anders als die arme, von Adora geächtete Jackie O’Neele, die ich ebenfalls am Tisch erspähte und die ähnlich beschwipst wirkte wie beim Begräbnis, küsste Annabelle mich auf beide Wangen und trat zurück, um mich gründlich zu mustern. »Immer noch die Hübsche. Komm, setz dich zu uns. Wir trinken ein paar Flaschen Wein und plaudern ein bisschen. Du senkst den Altersdurchschnitt.«
Annabelle schleppte mich zu einem Tisch, an dem Jackie mit zwei weiteren blonden, gebräunten Frauen plauderte. Sie hörte nicht einmal auf zu reden, als Annabelle uns bekanntmachte, sondern laberte weiter von ihrem neuen Schlafzimmer. Dann drehte sie sich ruckartig zu mir um und stieß dabei ein Glas um.
»Camille! Du bist hier? Wie schön, dich zu sehen, Liebes.« Es klang aufrichtig. Sie roch wieder nach Juicy Fruit.
»Sie ist schon seit fünf Minuten hier«, fauchte eine andere Blondine und fegte mit einer Handbewegung Eis und Wasser auf den Boden. An zwei Fingern blitzten Diamanten auf.
»Stimmt, jetzt fällt es mir wieder ein. Du bist hier, um über die beiden ermordeten Kinder zu schreiben, du Ärmste. Das dürfte Adora gar nicht gefallen. Unter einem Dach mit deinen schmutzigen Gedanken.« Ihr Lächeln mochte vor zwanzig Jahren kess gewirkt haben, heute sah es ein bisschen irre aus.
»Jackie!«, sagte eine ihrer Freundinnen und richtete die suppentassengroßen Augen auf sie.
»Früher haben wir natürlich alle in Joyas Haus übernachtet und hatten auch schmutzige Gedanken dabei. Dasselbe Haus, nur gehört es heute einer anderen verrückten Lady«, sagte sie zu mir und tastete hinter ihren Ohren. Ob die Narben vom letzten Lifting juckten?
»Du hast deine Großmutter Joya nie kennengelernt, oder?«, gurrte Annabelle.
»Das war vielleicht eine, Schätzchen«, sagte Jackie. »Eine durch und durch furchterregende Frau.«
»Warum denn das?«, fragte ich. Das hatte ich noch nie über meine Großmutter gehört. Adora gab zu, sie sei streng gewesen, verriet ansonsten aber wenig.
»Ach, Jackie übertreibt doch«, sagte Annabelle. »Welcher Teenie kann seine Mutter schon leiden? Und Joya starb auch kurz darauf. Sie hatten nie Zeit, einander als Erwachsene kennenzulernen.«
In mir keimte kurz die jämmerliche Hoffnung auf, dass meine Mutter und ich uns deshalb so fremd waren: Sie hatte einfach keine Übung darin. Doch die Hoffnung erstarb, noch bevor Annabelle mir nachgeschenkt hatte.
»Klar doch, Annabelle«, warf Jackie ein. »Wenn Joya noch lebte, würden sich die beiden prächtig amüsieren. Zumindest Joya. Sie würde Camille nur zu gern in der Luft zerreißen. Erinnerst du dich an ihre superlangen Nägel? Waren nie lackiert. Das fand ich immer seltsam.«
»Themenwechsel«, sagte Annabelle lächelnd. Ihre Worte klingelten wie Silberglöckchen.
»Camille, ich finde deinen Beruf faszinierend«, bemerkte eine Blondine pflichtschuldig.
»Vor allem diese Story.«
»Genau, Camille verrät uns, wer’s gewesen ist«, platzte Jackie heraus. Sie grinste wieder lüstern und klimperte mit den braunen Augen. Sie erinnerte mich an eine Bauchrednerpuppe mit verhärteter Haut und geplatzten Äderchen, die zum Leben erwacht war.
Ich musste zwar noch einige Anrufe erledigen, entschied aber, dass hier mehr zu holen war. Ein Quartett betrunkener, gelangweilter und gehässiger Hausfrauen, die jeden Klatsch in Wind Gap kannten. Ich könnte es sogar als Geschäftsessen absetzen.
»Ich bin sehr an eurer Meinung interessiert.« Ein Satz, den diese Frauen gewiss nicht allzu oft hörten.
Jackie tunkte ihr Brot in ein Schüsselchen mit Soße, die ihr prompt auf die Bluse tropfte. »Ihr wisst ja, was ich davon halte. Anns Papa war’s. Bob Nash. Er ist pervers. Stiert mir immer auf den Busen, wenn er mich im Laden sieht.«
»Was man so Busen nennt«, sagte Annabelle und stieß mich scherzhaft an.
»Ich meine es ernst, der hat sie nicht mehr alle. Ich wollte schon länger mit Steve darüber reden.«
»Ich muss euch was Tolles erzählen«, verkündete die vierte Blondine. Dana oder Diana? Ich hatte den Namen sofort nach der Vorstellung vergessen.
»DeeAnna ist immer für eine Sensation gut«, sagte Annabelle und drückte meinen Arm. DeeAnna hielt inne, um die Spannung zu erhöhen, leckte sich über die Zähne, schenkte sich Wein nach und schaute uns über den Rand des Glases an.
»John Keene ist zu Hause ausgezogen«, verkündete sie.
»Was?«, fragte eine
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