Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
Natalies Familie gern etwas spenden.« Er hielt inne. »Wollen Sie vorbeikommen und sich ein paar Musterfliesen ansehen?«
»Gute Idee.«
Eine Aufgabe abgehakt, und ich musste mich nicht einmal von einer trauernden Mutter beschimpfen lassen.
Für unser Abendessen hatte Richard Gritty’s ausgewählt, ein »Familienrestaurant« mit Salatbar, an der alles außer Salat zu haben war. Der Kopfsalat befand sich wie immer in einem Behälter am äußersten Ende, ein blasser, nachträglicher Einfall. Richard plauderte gerade mit der mollig-munteren Kellnerin, als ich mit zwölf Minuten Verspätung hereinbrauste. Die Frau, deren Gesicht zu den Pasteten passte, die sich hinter ihr in einer Vitrine drehten, schien mich gar nicht zu bemerken. Sie war hingerissen von den Möglichkeiten, die Richard eröffnete, und verfasste im Geiste vermutlich schon ihren allabendlichen Tagebucheintrag.
»Preaker«, sagte er, ohne sie aus den Augen zu lassen, »Ihre Unpünktlichkeit ist geradezu skandalös. Ein Glück, dass JoAnn mir so lange Gesellschaft geleistet hat.« JoAnn kicherte, funkelte mich an und führte uns an einen Ecktisch, wo sie mir eine schmierige Speisekarte hinknallte. Auf dem Tisch waren noch die Glaskränze unserer Vorgänger zu erkennen.
Die Kellnerin erschien, stellte mir ein winziges Glas Wasser hin und Richard einen halben Styroportrog mit einem Erfrischungsgetränk. »He, Richard, ich weiß es noch.«
»Darum sind Sie ja auch meine Lieblingskellnerin, Kathy.«
Wie reizend.
»Hi, Camille, hab gehört, dass du hier bist.« Ich konnte den Satz nicht mehr hören. Auf den zweiten Blick erkannte ich in ihr eine frühere Klassenkameradin. Wir waren ein halbes Jahr befreundet gewesen, weil unsere damaligen Freunde dicke Kumpel waren – ich ging mit Phil, sie mit Jerry. Harte Typen, die im Herbst Football spielten, im Winter boxten und das ganze Jahr über in Phils Keller Partys schmissen. Blitzartig fiel mir ein, wie wir beide einmal Hand in Hand vor der gläsernen Schiebetür gehockt und in den Schnee gepinkelt hatten, zu betrunken, um uns den Blicken von Phils Mom zu stellen. Ich wusste noch, dass Kathy mir erzählt hatte, dass sie und Jerry Sex auf dem Billardtisch gehabt hatten und der Filz deshalb so klebrig sei.
»He, Kathy, schön dich zu sehen. Wie geht es dir?«
Sie machte eine Armbewegung, die das ganze Restaurant erfasste.
»Du kannst es dir sicher vorstellen. Aber was treibt dich her? Schöne Grüße von Bobby übrigens. Bobby Kidder.«
»Ach ja! Mein Gott …« Ich hatte völlig vergessen, dass die beiden verheiratet waren. »Wie geht’s ihm denn?«
»Hat sich kaum verändert. Komm doch mal vorbei, wenn du Zeit hast. Wir wohnen drüben auf der Fisher.«
Ich konnte mir genau vorstellen, wie laut die Uhr ticken würde, wenn ich im Wohnzimmer von Bobby und Kathy Kidder säße und angestrengt Konversation machte. Kathy würde die ganze Zeit reden, wie immer. Sie gehörte zu den Menschen, die lieber Straßenschilder laut vorlasen, als Stille zu ertragen. Falls Bobby sich nicht verändert hatte, wäre er ruhig und gutmütig, ein Mann mit wenigen Interessen und schieferblauen Augen, die nur aufmerksam wurden, wenn es um das Thema Jagd ging. In der Highschool hatte er die Hufe sämtlicher Hirsche gesammelt, die er erlegt hatte. Das letzte Paar trug er stets in der Tasche und trommelte damit auf alle harten Oberflächen, die sich boten. Mir kam es immer so vor, als morste der tote Hirsch, als sendete der Wildbraten von morgen einen verzögerten Notruf.
»Nehmt ihr das Büfett?«
Ich bestellte ein Bier, worauf eine längere Pause entstand. Kathy schaute über die Schulter auf die Wanduhr. »Hm, eigentlich dürfen wir erst ab acht Alkohol ausschenken. Aber ich sehe zu, dass ich dir eins besorge – um der alten Zeiten willen, okay?«
»Ich möchte nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst.« Diese willkürlichen Trinkvorschriften sind typisch für Wind Gap. Fünf Uhr war eine sinnvolle Zeit, acht Uhr schlichtweg idiotisch.
»Mensch, Camille, dann würde hier endlich mal was Spannendes passieren.«
Während Kathy loszog, um mir unter der Hand das Bier zu beschaffen, füllten Richard und ich unsere Teller mit paniertem Steak, Maisgrütze und Kartoffelbrei. Richard bediente sich noch mit einer Scheibe Wackelpudding, die schon in sein Essen floss, als wir an den Tisch zurückkehrten. Kathy hatte eine Flasche Bier diskret auf meinem Sitzkissen deponiert.
»Trinken Sie immer so früh?«
»Ist doch nur
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