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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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besuchen. Die Millard Calhoon H.S. wurde 1930 gegründet und symbolisierte Wind Gaps letztes finanzielles Aufbäumen vor der Depression. Sie war nach dem ersten Bürgermeister der Stadt, einem Bürgerkriegshelden, benannt. Einem konföderierten Helden, aber Held blieb Held. Im letzten Kriegsjahr hielt Mr. Calhoon in Lexington allein gegen einen Trupp Yankees die Stellung und rettete so die kleine Stadt in Missouri. (Steht jedenfalls auf der Plakette neben der Schultür.) Er eilte zwischen Bauerngehöften und sauber eingezäunten Häusern umher und scheuchte die Damen höflich hinein, damit sie den Yankees nicht in die Hände fielen. Wenn man heute nach Lexington kommt und sich das Calhoon-Haus anschauen möchte, wird man zu einem schönen Gebäude im typischen Stil seiner Zeit geführt, in dessen Brettern noch die Nordstaatlerkugeln stecken. Mr. Calhoons Südstaatlerkugeln wurden wohl mit den Männern begraben, die sie getötet hatten.
    Calhoon selbst starb 1929 , kurz vor seinem hundertsten Geburtstag. Er saß gerade in dem Pavillon auf dem Dorfplatz, den man inzwischen abgerissen hat, und ließ sich von einer großen Blaskapelle feiern, als er sich plötzlich mit den Worten »Mir ist das alles zu laut« an seine zweiundfünfzigjährige Frau lehnte und einen schweren Herzinfarkt erlitt. Er kippte samt Stuhl in die Teekuchen, die ihm zu Ehren mit Sternen und Streifen verziert waren, und verschmutzte seine schmucke Bürgerkriegsuniform.
    Für Calhoon habe ich eine echte Schwäche. Manchmal ist mir auch alles zu laut.
     
    Das Haus der Nashs war nicht weiter auffällig. Ein typisches Fertighaus, wie man sie Ende der 70 er Jahre überall im Westen der Stadt erbaut hatte; eines dieser gemütlichen Gebäude im Ranchstil, bei denen die Garage der absolute Mittelpunkt ist. In der Einfahrt hockte ein schmutziger blonder Junge auf einem Dreirad, für das er viel zu groß war, und trat keuchend in die Pedale. Er kam nicht von der Stelle.
    »Soll ich dich anschieben?«, fragte ich beim Aussteigen. Ich habe kein Händchen für Kinder, aber ein Versuch konnte nicht schaden. Er schaute mich schweigend an und steckte sich den Finger in den Mund. Sein ärmelloses T-Shirt war hochgerutscht, der runde Bauch lugte grüßend hervor. Bobby Junior sah dumm und verängstigt aus. Nicht gerade der Sohn, den sich die Nashs erhofft hatten.
    Ich ging auf ihn zu. Er sprang vom Dreirad, das an ihm festklemmte, bis es krachend zu Boden fiel.
    »Daddy!« Er rannte heulend zum Haus, als hätte ich ihn gekniffen.
    Ein Mann erschien in der Haustür. Hinter ihm gurgelte ein dreistöckiger Zimmerbrunnen in Muschelform, auf dessen Spitze eine Jungenfigur kauerte. Selbst von draußen roch das Wasser alt.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Sind Sie Robert Nash?«
    Auf einmal wirkte er misstrauisch. Vermutlich hatte ihn die Polizei genau das Gleiche gefragt, als sie ihm die Nachricht vom Tod seiner Tochter überbrachte.
    »Ja, was gibt’s?«
    »Es tut mir leid, dass ich Sie zu Hause störe. Camille Preaker, ich komme aus Wind Gap.«
    »Hm.«
    »Inzwischen arbeite ich allerdings in Chicago für die
Daily Post
. Ich bin wegen Natalie Keene hier … und dem Mord an Ihrer Tochter.«
    Ich war auf Gebrüll, Türenschlagen, Beschimpfungen, einen Boxhieb vorbereitet. Doch Bob Nash schob die Hände in die Hosentaschen und wippte auf den Fersen.
    »Wir können im Schlafzimmer reden.«
    Er hielt mir die Tür auf, und ich stieg über das Durcheinander im Wohnzimmer. Zerknitterte Laken und kleine T-Shirts quollen aus Wäschekörben. Ich ging vorbei an einem Badezimmer mit einer leeren Klopapierrolle mittendrin und durch einen Flur, der mit verblassenden Fotos unter schmieriger Folie gesprenkelt war: kleine blonde Mädchen, die sich liebevoll um ein schreiendes Baby drängten; ein junger Nash, den Arm steif um seine frisch angetraute Braut gelegt, während beide ein Kuchenmesser hielten. Im Schlafzimmer – Vorhänge mit passender Bettwäsche, ordentliche Kommode – begriff ich, warum Nash diesen Raum für unser Gespräch ausgewählt hatte. Es war das einzige Zimmer im ganzen Haus, das halbwegs zivilisiert wirkte, ein Außenposten am Rand des erbarmungslosen Dschungels.
    Nash setzte sich auf eine Bettkante, ich auf die andere. Stühle gab es nicht. Wir hätten Darsteller in einem billigen Porno sein können, wenn man von dem Kirschgetränk absah, das Nash für uns angerührt hatte. Er selbst sah gepflegt aus: gestutzter Schnurrbart, schütteres, mit Gel geglättetes

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