Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
blondes Haar, ein leuchtend grünes Polohemd, das im Bund der Jeans steckte. Ich nahm an, dass er hier für Ordnung sorgte; der Raum wirkte schlicht und sauber wie der eines Junggesellen, der sich richtig angestrengt hat.
Zum Glück kam er gleich zur Sache. Nicht wie der Typ bei einer Verabredung, der erst Süßholz raspelt, obwohl es nur ums Bumsen geht.
»Ann ist im letzten Sommer dauernd Rad gefahren«, begann er von sich aus. »Immer um den Block. Weiter wollten meine Frau und ich sie nicht lassen. Sie war erst neun. Wir behüten unsere Kinder sehr. Aber gegen Ende der Ferien sagte meine Frau, na schön. Ann hatte so gejammert, dass sie ihr erlaubte, zu ihrer Freundin Emily zu fahren. Sie ist nie dort angekommen. Das wurde uns erst um acht Uhr klar.«
»Wann war sie losgefahren?«
»Gegen sieben. Emily wohnt zehn Straßen weiter, und irgendwo unterwegs haben die sie geschnappt. Das wird sich meine Frau nie verzeihen. Nie.«
»Warum sagen sie,
die
hätten sie geschnappt?«
»Die, er, egal. Das Schwein. Der kranke Mädchenmörder. Während meine Familie und ich schlafen, während Sie Ihre Artikel schreiben, läuft da draußen einer rum und sucht nach Kindern, die er töten kann. Wir beide wissen doch, dass die kleine Keene nicht einfach so verschwunden ist.«
Er kippte das Kirschgetränk in einem Zug hinunter und wischte sich den Mund ab. Die Kommentare waren gut, wenn auch zu glatt. Das kommt häufig vor und hängt eindeutig mit dem Fernsehkonsum der Leute zusammen. Vor einer Weile interviewte ich eine Frau, deren zweiundzwanzigjährige Tochter soeben von ihrem Freund ermordet worden war, und sie kam mir mit einem Satz, den ich zufällig am Abend vorher in einem Anwaltsfilm gehört hatte:
Ich würde gern sagen, dass er mir leidtut, aber ich fürchte, ich werde nie wieder Mitleid empfinden können.
»Und Sie haben keine Vorstellung, wer Ihnen oder Ihrer Familie hätte schaden wollen, indem er Ann das antat?«
»Miss, ich verdiene meinen Lebensunterhalt damit,
Stühle
zu verkaufen, ergonomische
Stühle
– und zwar am Telefon. Ich sitze mit zwei Kollegen in einem Büro in Cape Hayti. Da komme ich keinem in die Quere. Meine Frau hat eine Halbtagsstelle in der Grundschule. Bei uns gibt es keine Familiendramen. Irgendjemand hat einfach beschlossen, unser kleines Mädchen zu töten.« Der letzte Satz klang resigniert, als hätte er diese Version akzeptiert.
Bob Nash öffnete die Schiebetür aus Glas, die auf eine winzige Terrasse führte, blieb aber im Zimmer stehen. »Vielleicht war’s ein Homo«, sagte er dann. In dieser Gegend war eine solche Wortwahl eine eher harmlose Umschreibung.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Er hat sie nicht vergewaltigt. Alle sagen, das sei bei einem solchen Fall ungewöhnlich. Es ist unser einziger Trost. Lieber tot als vergewaltigt.«
»Und es gab keinerlei Anzeichen für eine sexuelle Belästigung?«, fragte ich leise und sanft, wie ich hoffte.
»Nein. Auch keine blauen Flecken, Schnitte, Spuren von … von Folter. Er hat sie einfach erdrosselt. Und ihr die Zähne gezogen. Das war eben nicht so gemeint, von wegen lieber tot als vergewaltigt. War blöd von mir. Aber Sie wissen, was ich meine.«
Ich sagte nichts, sondern ließ den Kassettenrekorder weiter surren, hielt die Luft an. Das Eis in Nashs Glas klirrte. Nebenan spielten Leute im letzten Tageslicht Volleyball.
»Daddy?« Ein hübsches blondes Mädchen mit langem Pferdeschwanz spähte zur Tür herein.
»Jetzt nicht, Liebes.«
»Ich hab Hunger.«
»Du kannst dir was machen«, antwortete Nash. »Im Gefrierschrank sind Waffeln. Sieh zu, dass Bobby auch was isst.«
Das Mädchen zögerte, schaute auf den Teppich zu seinen Füßen und schloss dann leise die Tür. Ich fragte mich, wo die Mutter wohl sein mochte.
»Waren Sie zu Hause, als Ann an jenem Abend das Haus verließ?«
Er legte den Kopf schief und sog an seinen Zähnen. »Nein. Ich war auf dem Heimweg von Hayti. Eine Stunde Fahrt. Ich hab meiner Tochter nichts getan.«
»So war das nicht gemeint«, log ich. »Mich interessierte nur, ob Sie sie noch gesehen haben.«
»Ich habe sie an dem Morgen zuletzt gesehen. Ich weiß nicht mehr, ob wir miteinander geredet haben. Wahrscheinlich nicht. Vier Kinder am Morgen sind ein bisschen viel.«
Nash ließ das Eis im Glas kreisen. Fuhr mit dem Finger unter seinem stachligen Schnurrbart entlang. »Bisher hat uns niemand geholfen. Vickery ist völlig überlastet. Sie haben einen super wichtigen Ermittler aus Kansas City
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