Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
natürliches Weizenblond, das mittlerweile zu einem aufdringlichen Platin erbleicht war, in einem Pferdeschwanz hoch oben auf dem Kopf.
»Hi, Katie, ich bin’s, Camille.«
»Camiiille! Mein Gott, ich komme schon.«
Eine so freundliche Begrüßung hatte ich nicht erwartet, immerhin hatten wir uns seit Angies Party nicht gesehen. Aber ihr Groll kam und ging wie eine flüchtige Brise.
Katie öffnete die Tür, ihre blauen Augen leuchteten im sonnengebräunten Gesicht. Ihre Arme waren braun und mager wie die eines Kindes und erinnerten mich an die französischen Zigarillos, die Alan einen Winter lang geraucht hatte. Meine Mutter hatte ihn in einen Kellerraum verbannt, den sie großspurig als sein Raucherzimmer bezeichnete, worauf Alan die Zigarillos aufgab und sich auf Portwein verlegte.
Katie hatte ein neonrosa Tanktop über ihren Bikini gestreift, wie sie Ende der achtziger Jahre in South Padre aufgekommen waren, als die Mädchen in den Osterferien an Wet-T-Shirt-Wettbewerben teilnahmen. Sie umarmte mich mit nach Kokosöl duftenden Armen und führte mich ins Haus. Auch hier gebe es keine Klimaanlage, genau wie bei Adora, erklärte sie, allerdings hätten sie ein Einzelgerät im Elternschlafzimmer. Sollten die Kinder doch schwitzen, dachte ich bei mir, verwöhnt wurden sie auf andere Weise. Der gesamte Ostflügel schien ein einziger Spielplatz zu sein, komplett mit gelbem Plastikhaus, Rutsche und Designerschaukelpferd. Alles wirkte völlig unbenutzt. An einer Wand stand in großen bunten Buchstaben: Madison. Emma. Fotos von lächelnden blonden Mädchen, stupsnasig, mit gläsernem Blick, hübsche Dummchen. Keine Nahaufnahmen, damit man immer sehen konnte, was sie anhatten. Rosa Overalls mit Gänseblümchen, rote Kleider mit getupften, bauschigen Pumphosen, blumengeschmückte Hütchen und Riemchenschuhe. Süße Kinder in
zuckersüßen
Sachen. Ein prima Werbespruch für die Nachwuchskonsumenten von Wind Gap.
Katie Lacey Brucker schien sich gar nicht zu fragen, was ich an diesem Freitagmorgen bei ihr zu suchen hatte. Sie erzählte von einer Promi-Biographie, die sie gerade las, und sinnierte, ob Schönheitswettbewerbe für Kinder nach dem Mord an JonBenet Ramsay wohl für immer out seien.
Madison möchte so gern modeln.
Na ja, wer kann es ihr verdenken, sie ist ebenso hübsch wie ihre Mutter.
Ach, Camille, das ist aber lieb, dass du das sagst – ich habe immer gedacht, du fändest mich nicht hübsch.
Doch, natürlich, sei nicht albern.
Möchtest du etwas trinken?
Sehr gern.
Wir haben keinen Alkohol im Haus.
Das meinte ich auch gar nicht.
Eistee vielleicht?
Eistee wäre wunderbar, ist in Chicago unmöglich zu bekommen, man vermisst die kleinen regionalen Köstlichkeiten. Du solltest mal sehen, wie sie da oben Schinken zubereiten. Es tut so gut, zu Hause zu sein.
Katie kam mit einer eleganten Kristallkaraffe zurück. Komisch, dabei hatte ich gesehen, wie sie einen Riesenkanister Eistee aus dem Kühlschrank geholt hatte. Ein Anflug von Selbstzufriedenheit, doch war ich ja selbst auch nicht ehrlich gewesen. Hatte meinen Zustand mit einer dicken Schicht Pflanzenduft überdeckt. Aloe, Erdbeer und auch noch ein schwacher Hauch von Zitrone aus dem Lufterfrischer.
»Der Tee schmeckt toll, Katie. Ich schwöre dir, ich könnte zu jedem Essen Eistee trinken.«
»Wie machen sie denn den Schinken da oben?« Sie zog die Füße an und lehnte sich zurück. Sie sah ernst aus, genau wie damals in der Schule, wenn sie in ihrem Gedächtnis nach der Kombination des Schließfachs kramte.
Ich aß keinen Schinken mehr, seit ich als Kind Mutters Farm besucht hatte. Es war nicht mal Schlachttag, doch allein der Anblick verursachte mir Albträume. Hunderte von Tieren, eingezwängt in Käfige, durchdrungen vom widerlich süßen Geruch nach Blut und Scheiße. Ein Bild von Amma blitzte auf, wie sie gebannt auf die Käfige starrte.
»Die nehmen zu wenig braunen Zucker.«
»Hm, ja. Da fällt mir ein, möchtest du ein Sandwich? Hab noch Schinken von deiner Mutter, Rindfleisch und Huhn. Und Truthahn von Lean Cuisine.«
Katie war der Typ, der lieber den ganzen Tag herumwerkelte, die Küche mit der Zahnbürste reinigte oder mit einem Zahnstocher Fusseln aufpickte, als ein unangenehmes Thema anzuschneiden. Endlich nüchtern. Dennoch gelang es mir, das Gespräch auf Ann und Natalie zu lenken, sicherte ihr Anonymität zu und ließ den Kassettenrekorder laufen. Die Mädchen waren reizend, süß und lieb gewesen, der übliche fröhliche Tratsch. Dann
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