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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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Kassiererinnen im Supermarkt –, weil ich immerzu fürchtete, eine Narbe könne hervorblitzen. Sollte John doch hinschauen. Sollte er doch bitte schön hinschauen. Vor einem Menschen, der so sehr nach Vergessen gierte wie ich, musste ich mich nicht verstecken.
    Er rollte den anderen Ärmel hoch, und da waren meine bloßen Arme. So nackt, dass es mir den Atem raubte.
    »Das hat noch niemand gesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wie lange hast du das gemacht, Camille?«
    »Lange.«
    Er schaute unverwandt auf meine Arme, schob die Ärmel weiter hoch. Küsste mich mitten auf
erschöpft.
    »So fühle ich mich«, sagte er und fuhr mit den Fingern über die Narben, bis ich eine Gänsehaut bekam. »Lass mich alle ansehen.«
    Er streifte mir das T-Shirt über den Kopf, während ich gehorsam wie ein Kind dasaß. Zog mir Schuhe und Socken aus, die Hose herunter. Nur mit BH und Höschen bekleidet, zitterte ich in der klimatisierten Luft. John schlug die Decke zurück, deutete aufs Bett, und ich stieg fiebrig und frierend hinein.
    Er hob meine Arme und Beine hoch, drehte mich auf den Rücken. Er las mich. Sprach die Wörter laut, zornig und unsinnig zugleich aus:
Ofen, mulmig, Burg.
Er zog sich aus, als spürte er eine Ungleichheit, warf die Kleidungsstücke zerknüllt auf den Boden und las weiter.
Knoten, boshaft, Gewirr, Bürste.
Geschickt hakte er meinen BH vorn auf, schälte mich heraus.
Blüte, Dosierung, Flasche, Salz.
Er war hart geworden. Er legte den Mund auf meine Brustwarze. Das erste Mal, dass ein Mann das durfte, seit ich richtig mit dem Schneiden begonnen hatte. Seit vierzehn Jahren.
    Seine Hände waren überall, und ich ließ es zu: auf meinem Rücken, meiner Brust, meinen Oberschenkeln, meinen Schultern. Seine Zunge war in meinem Mund, an meinem Hals, auf meinen Brustwarzen, zwischen meinen Beinen, wieder in meinem Mund. Sie schmeckte nach mir. Die Wörter schwiegen. Als ob mir der Teufel ausgetrieben worden wäre.
    Ich führte ihn in mich hinein, er kam schnell und heftig, dann noch einmal. Ich spürte seine Tränen auf meinen Schultern, als er in mir erbebte. Wir schliefen ineinander verschlungen ein, und nur ein einziges Wort summte flüchtig auf:
Omen
. Ob gut oder schlecht, wusste ich nicht. Ich entschied mich für gut. Dumm von mir.
    Die frühe Morgendämmerung ließ die Zweige vor dem Fenster wie Hunderte winziger Hände erglühen. Ich ging nackt zum Waschbecken, um Wasser zu holen, da wir beide verkatert und durstig waren, und das schwache Sonnenlicht zielte auf meine Narben und erweckte die Wörter flackernd zum Leben. Die Auszeit war vorbei. Ich verzog unwillkürlich die Oberlippe, als mich der Ekel vor meiner eigenen Haut überkam, und wickelte mich in ein Handtuch, bevor ich mich wieder ins Bett legte.
    John trank einen Schluck, hielt meinen Kopf und goss mir etwas in den Mund, dann trank er den Rest aus. Seine Finger zupften am Handtuch. Ich hielt es stramm, spannte es wie ein raues Geschirrtuch über meine Brüste. Ich schüttelte den Kopf.
    »Was ist los?«, flüsterte er mir ins Ohr.
    »Das unbarmherzige Morgenlicht«, flüsterte ich zurück. »Zeit, die Illusionen aufzugeben.«
    »Welche Illusionen?«
    »Dass alles gut wird«, sagte ich und küsste ihn auf die Wange.
    »Noch nicht«, sagte er und umschlang mich mit seinen dünnen, unbehaarten Armen. Jungenarmen. Trotzdem fühlte ich mich sicher und wohl. Hübsch und sauber. Ich legte mein Gesicht an seinen Hals und roch ihn: Alkohol und scharfe Rasierlotion von der Sorte, die wie blaues Eis aus der Flasche quillt. Als ich wieder die Augen öffnete, entdeckte ich draußen die roten, kreisenden Lichter eines Streifenwagens.
    Hämmern. Jemand rüttelte an der Tür, als wollte er sie aufbrechen.
    »Camille Preaker, hier ist Chief Vickery. Machen Sie auf, wenn Sie da drin sind.«
    Wir sammelten unsere Kleider ein. John wirkte dabei wie ein verschreckter Vogel. Gürtelschnallen klackten, Stoff raschelte, Geräusche, die uns verraten würden. Hastige, schuldbewusste Geräusche. Ich warf die Decke aufs Bett, fuhr mir mit den Fingern durchs Haar und öffnete die Tür, während John bemüht lässig hinter mir Stellung bezog, die Finger in die Gürtelschlaufen gehakt.
    Richard. Frisch gebügeltes weißes Hemd, gestreifte Krawatte, ein Lächeln, das sofort verschwand, als er John entdeckte. Daneben Vickery, der sich den Schnurrbart rieb, als wüchse darunter ein Ekzem, dessen Augen von mir zu John und wieder zurück schossen, bevor er sich umdrehte und

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