Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
abgeben?«, fragte er und knabberte am Nagel seines kleinen Fingers.
Kristi brach der Schweiß aus. Sie wartete darauf, dass er weiter in den Raum hineinging.
»Vermutlich ist dein Dad noch gar nicht dazu gekommen, dich anzurufen und dir die Neuigkeiten mitzuteilen. Dad – dabei ist er ja gar nicht dein richtiger Vater, nicht wahr? Der alte Rick ist im Grunde … was? Dein Onkel, oder? Deine Mutter hat mit einem Priester rumgevögelt, stimmt’s? Der gute alte Father James. Hätte er doch bloß seine Hosen anbehalten.«
Woher weiß er das alles?
Ihr Herz raste, ihre Muskeln verkrampften sich.
Lass dich von ihm nicht provozieren. Darauf legt er es doch an. Hör nicht auf ihn.
»Nun, wie es aussieht, war deine Mutter nicht die erste Frau, die den guten Priester an ihre Wäsche ließ. O nein. Wenn Father James eines besaß, dann war es Charme und Überzeugungskraft. Faith Chastain, eine Frau mit … nun ja, nicht gerade gehobenen Moralvorstellungen, fuhr auch auf ihn ab. Ihre Geisteskrankheit kam ihm dabei wohl ganz gelegen. Oder hat sich der gute Priester davon etwa abschrecken lassen? Nein, zum Teufel. Und – Bingo! Sie wurde schwanger. Meine Mutter – oder sagen wir lieber
Adoptiv
mutter – hat sie nämlich gesehen, weißt du? Sie hat mir davon erzählt, wie Faith den Priester vögelte. Das hat meine Mama schwer in ihrem Glauben erschüttert.« Er schnaubte, als fände er die Vorstellung absurd. »Sie betrachtete sich selbst als gute, gottesfürchtige Katholikin. Das hat sie allerdings nicht daran gehindert, nachts in mein Zimmer zu kommen, wie?« Vor Erregung wurde er immer lauter.
Kristi war übel, sie musste gegen den Brechreiz ankämpfen. »Aber jetzt kommt das eigentlich Interessante«, fuhr er fort, und als Kristi seinen Tonfall hörte, presste sie sich noch enger an die rauhen Backsteine. »Es gelang Faith, die Schwangerschaft vor fast allen geheim zu halten.«
Der Typ war geisteskrank! Kristi bemühte sich krampfhaft, trotz ihrer Angst einen klaren Kopf zu bewahren.
»Du siehst also: Du und ich, wir sind vom selben Blut, kleine Schwester. Auch ich darf Father James ›Daddy‹ nennen.«
Nein. Das war unglaublich. Das konnte nicht sein!
Er ließ den Lichtstrahl wieder über den Fußboden wandern und trat in den Raum. »Komm schon, Kristi, wo steckst du? Glaub mir, du willst
nicht,
dass ich böse werde.«
Du bist wahnsinnig. Verrückt. Geisteskrank!
Andererseits – so ganz frei erfunden schien das, was er da sagte, nicht zu sein … Kristi überlief eine Gänsehaut, und der Ekel schüttelte sie schier.
Er richtete den Lichtstrahl zur Decke, als glaubte er, sie hätte sich auf den Dachbalken versteckt. Sie umklammerte krampfhaft die Pfefferspraydose.
Er ging einen Schritt weiter, und sie sprang.
Im selben Moment drehte er sich um und leuchtete ihr ins Gesicht, blendete sie mit der Taschenlampe.
»Dummes Mädchen«, knurrte er. Kristi richtete die Spraydose auf sein Gesicht und sprühte.
Er ließ die Taschenlampe fallen. Sie rollte über den Boden, der Strahl beschrieb einen weiten Bogen.
Jetzt erst sah sie die Waffe.
Auf ihre Brust gerichtet.
Er hustete. Tränen strömten über sein schönes Gesicht, doch er ließ sich davon nicht beirren, sondern packte Kristi am Arm, drückte ihr die Waffe in den Rücken und zerrte sie die Treppe hinunter.
Sie dachte, er werde sie in den zweiten Stock bringen, doch er stieß sie immer weiter die Treppe hinunter, durchs Foyer im Erdgeschoss, vorbei am Speisesaal in einen Raum, der früher als Küche gedient hatte. Kurz vor der Hintertür schob er sie um die Ecke und stieß eine Tür zum Keller auf.
Ihr wurde noch mulmiger. Halb taumelnd stieg sie die Stufen hinunter, die zu einem langen Flur führten. An den Wänden des gekachelten Gangs brannten Kerosinlampen. Sie kamen an dunklen, zellenartigen Räumen vorbei, und Kristis Phantasie ging mit ihr durch, als sie sich vorstellte, dass früher hier, isoliert in diesen unterirdischen Verliesen, Patienten untergebracht waren.
»Stopp«, sagte er und schob sie in einen Raum, in dem eine Laterne brannte. An den gekachelten, mit Schimmel überzogenen Wänden hingen an Haken alte Werkzeuge und Geräte. Kristi erkannte einen Elektroschocker, eine Zwangsjacke und ein Tablett mit chirurgischen Instrumenten aus angelaufenem Metall. An der Decke waren Lampen angebracht. Kristi ahnte, dass in diesem Raum früher Operationen vorgenommen worden waren. Ihr Magen hob sich.
A. J. nahm eine schmutzige Zwangsjacke
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