Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
Eve es nicht, den Artikel zu lesen, doch ein paar Wörter sprangen ihr ins Auge.
Faith Chastain … Mordopfer.
Psychiatrische Klinik Our Lady of Virtues.
Detective Reuben Montoya vom New Orleans Police Department.
Eves Verwirrung und Angst nahmen zu. »Mein Gott«, flüsterte sie und ließ das Papier fallen. Montoya war einer der Cops, die maßgeblich an Coles Verhaftung beteiligt gewesen waren, und die psychiatrische Klinik kannte Eve nur zu gut. Ihr Vater hatte dort als leitender Psychiater gearbeitet, und sie hatte als Kind auf dem Gelände gespielt. Weckte nicht der Name dieser armen Frau eine leise Erinnerung in ihr?
Eves Blick fiel auf einen weiteren Artikel, der ebenfalls mit einer Zackenschere ausgeschnitten war.
VERDÄCHTIGER IN ZWANZIG JAHRE ALTEM MORDFALL DER JÜNGSTEN MORDE BESCHULDIGT
»Lieber Himmel, was …?« Eve nahm den Fuß vom Gas und überflog den Artikel über einen Serienmörder in New Orleans, einen psychisch Kranken, der vor nicht langer Zeit wenigstens ein halbes Dutzend Menschen umgebracht hatte.
Eve brauchte nicht weiterzulesen. Sie hatte verstanden. Mit zusammengebissenen Zähnen bemühte sie sich krampfhaft, ihre Aufmerksamkeit auf die Straße zu richten.
Wer hatte den Umschlag in ihr Handschuhfach gelegt?
Wer konnte wissen, dass sie in der alten psychiatrischen Klinik mehr oder weniger aufgewachsen war?
Und wieso dieses plötzliche Interesse an Faith Chastain, einer Frau, die schon seit so langer Zeit tot war?
Sie bekam kaum Luft. Wenn sie nicht achtgab, drohte ihr eine ausgewachsene Panikattacke. »Halte durch«, ermahnte sie sich und begann wieder einmal stumm zu zählen.
Eins … zwei … drei …
Wer auch immer die Zeitungsausschnitte in ihren Wagen gelegt hatte, verfolgte damit eine bestimmte Absicht.
Warum? Wann?
WER ?
Sämtliche Artikel beschäftigten sich mit dem Rätsel um Faith Chastains Tod, und sie waren nicht etwa achtlos herausgetrennt, sondern sorgfältig mit einer Zackenschere ausgeschnitten worden. Es sah aus, als sei jede der kleinen gedruckten Geschichten von regelmäßigen, rasiermesserscharfen Zähnen eingefasst.
Eve bekam Gänsehaut.
Sie hatte von dem Skandal um das leerstehende Krankenhaus und die jüngeren Mordfälle gehört. Vor ein paar Monaten war die Geschichte durch die Nachrichten gegangen.
Vor Roys Tod.
Bevor eine Kugel ihren Kopf streifte.
Wer hatte die Zeitungsausschnitte in ihren
verschlossenen
Wagen gelegt?
Sie blickte in den Rückspiegel, doch der geheimnisvolle dunkle Pick-up war nicht zu sehen. Wie hatte jemand den Umschlag in ihr Handschuhfach schmuggeln können? Sie schloss ihren Wagen immer ab …
Außer an der Tankstelle.
Du wolltest nur ganz kurz in den Laden gehen.
Die Katze hat dich abgelenkt. Die Kopfschmerzen. Du musstest zur Toilette.
Trotzdem verschloss sie den Wagen gewöhnlich mit der Fernbedienung an ihrem Schlüssel. Es geschah automatisch, war Routine, und auf dieser Fahrt legte sie sogar noch größeren Wert auf ihre Sicherheit als sonst. Schließlich befand sich in dem Toyota der größte Teil ihrer Habseligkeiten. Konnte sie so nachlässig gewesen sein, die Türen unverschlossen zu lassen?
Eve überlegte angestrengt. Beim Restaurant hatte sie den Wagen abgeschlossen, daran erinnerte sie sich, aber … an der Tankstelle vielleicht doch nicht? Sie fröstelte, als ihr der Anruf wieder in den Sinn kam, die rauhe Stimme:
Er ist frei.
Was zum Teufel sollte das?
Und der Pick-up, von dem sie sich verfolgt gefühlt hatte – stand der auch in irgendeiner Verbindung mit … dem alten Krankenhaus?
Zieh keine voreiligen Schlüsse!
»Tu ich nicht!«, sagte sie so laut, dass Samson auf dem Rücksitz erschrocken fauchte.
Kalter Schweiß brach ihr aus. Sie sah in den Rückspiegel und gab wieder Gas. Sie musste schnellstmöglich nach New Orleans. Wenn sie erst einmal dort war, in ihrem Haus, hinter verschlossenen Türen mit vorgelegter Sicherheitskette, dann würde sie die Artikel lesen und versuchen, herauszufinden, was das alles zu bedeuten hatte.
Eines wusste sie jetzt jedenfalls mit Sicherheit: Jemand musste sie verfolgt haben. Der dicke Umschlag war am Morgen, als sie ihre Sonnenbrille zu den Fahrzeugpapieren und Straßenkarten ins Handschuhfach legte, noch nicht dort gewesen.
Erneut drohte Panik in ihr aufzusteigen. Was hätte der Kerl ihr sonst noch ins Auto legen können? Ein Ortungsgerät? Womöglich sogar eine Bombe?
Hör auf. Du hast in letzter Zeit zu viele schlechte Krimis gesehen.
Doch
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