Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
Orleans war. Doch dann beschloss sie, dass es bis zum nächsten Morgen Zeit hatte. Wenn er überhaupt noch wach war, hatte er sicher schon eine Anzahl steifer Drinks intus.
Sie wollte lieber mit ihm reden, wenn er nüchtern war.
Eve goss heißes Wasser aus dem Kessel in ihre Tasse und nippte an dem Tee. Dabei fiel ihr Blick auf die Zeitungsausschnitte, die immer noch ausgebreitet auf dem verschrammten Eichentisch lagen.
Du solltest zur Polizei gehen.
Sie las die Artikel noch einmal und prägte sich Stichpunkte ein. Faith Chastains mehr als zwanzig Jahre alter Nachruf enthielt die Namen ihrer Hinterbliebenen: ihr Mann, Jacques, und zwei Töchter, Zoey und Abigail.
Abby Chastain.
Warum kam ihr der Name so bekannt vor?
Und wie waren die Zeitungsausschnitte in ihr Handschuhfach gelangt? Nichts deutete darauf hin, dass jemand gewaltsam in ihren Wagen eingedrungen war. Es schien fast, als hätte die betreffende Person einen Schlüssel gehabt.
Ein Nachschlüssel?
Eve überlief ein kalter Schauder. Wenn tatsächlich jemand irgendwie ihren Schlüsselbund an sich gebracht hatte, konnte er Kopien ihrer sämtlichen Schlüssel besitzen, einschließlich des Haustürschlüssels.
Sie hörte ein schabendes Geräusch.
Wie ein Fingernagel auf Glas.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, ehe ihr klar wurde, dass es nur ein Zweig war, der eine Fensterscheibe im ersten Stock streifte. Trotzdem stellte sie ihre Tasse so heftig auf den Tresen, dass der Tee überschwappte, und eilte die Treppe hinauf. Auf dem Absatz blieb sie stehen – tatsächlich, der Wind hatte aufgefrischt, rüttelte an den Ästen der Bäume vor dem Haus, und ein kleiner Zweig kratzte an der Scheibe.
Eve zwang sich zur Ruhe.
Hör auf, dich verrückt zu machen! Niemand hat deine Schlüssel. Du musst vorhin an der Raststätte vergessen haben, das Auto abzuschließen, ganz einfach.
Sie dachte wieder an den Kerl mit der Sonnenbrille, von dem sie sich beobachtet gefühlt hatte. War diese Angst wirklich nur das Produkt ihrer lebhaften Phantasie, oder konnte er derjenige sein, der ihr die Zeitungsausschnitte zugespielt hatte?
Hätte sie doch nur sein Autokennzeichen sehen können!
»Reiß dich zusammen«, ermahnte sie sich selbst und wäre beinahe über Samson gestolpert, der auf der untersten Treppenstufe lag. »Pass auf, Kleiner.« Sie hob ihn auf und trug ihn zurück in die Küche.
Du solltest die Zeitungsausschnitte der Polizei zeigen.
Eve zog eine Grimasse. Die hiesigen Detectives hielten sie ohnehin bereits für nicht ganz richtig im Kopf. Wenn sie nun auch noch mit dieser Geschichte ankam, würde man sie erst recht nicht mehr ernst nehmen.
Aber vielleicht könnte die Polizei anhand von Fingerabdrücken herausfinden, wer sich an dem Wagen zu schaffen gemacht und den Umschlag ins Handschuhfach gelegt hatte.
Eve erinnerte sich nur allzu deutlich an die harten, sachlichen Mienen der Detectives Montoya und Bentz und an die Skepsis der Staatsanwältin, die den Fall gegen Cole vertrat.
»Sind Sie sich auch ganz sicher?«, hatte die stellvertretende Bezirksstaatsanwältin, Yolinda Johnson, Eve gefragt und ihre dunklen Augen zusammengekniffen. Sie war eine schlanke, kluge Afroamerikanerin von etwa fünfunddreißig, die nicht bereit war, eine Anklage auf vage Indizien zu gründen. Eve saß vor einem großen Schreibtisch, Yolinda dahinter. Das Büro war klein und stickig. Eve schwitzte, und die Wirkung ihrer Schmerzmittel ließ zusehends nach. »Mr Dennis hat also auf Sie geschossen.«
»Ja.« Eves Eingeweide krampften sich zusammen, und sie spielte nervös mit ihren Fingern.
»Aber Sie erinnern sich an nichts von dem, was vor oder nach dem Überfall geschah – ist das richtig?« Yolinda war sichtlich skeptisch. Sie schürzte die Lippen und klopfte mit dem Ende ihres Bleistifts auf einen Spiralblock.
Eves Magen rumorte. »Das … das stimmt … Das heißt, ich erinnere mich, dass ich bei Cole war, in seinem Haus …«
»In seinem Bett, Ms Renner. Reden wir nicht um den heißen Brei herum. Der Verteidiger wird es ganz bestimmt nicht tun.«
Eve hob mit einem Ruck den Kopf und sah die Frau fest an. »Ganz recht. Ich war mit ihm im Bett.«
»Sie beide waren ein Paar.«
»Ja.«
»Weiter.«
»Ich bekam einen Anruf von Roy … Roy Kajak. Er wollte sich unbedingt mit mir treffen. Er sagte, er hätte ›Beweise‹, was auch immer er damit meinte. Aber danach … danach verschwimmt alles.«
»Mr Dennis wollte Sie nicht gehen lassen.«
»Stimmt.«
»Er
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