Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
hat sich Ihnen in den Weg gestellt.«
»Ja …«
»Ist er Ihnen gefolgt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Haben Sie gesehen, ob er das Haus verlassen hat?«
»Ich … ich glaube nicht.«
»Aber Sie sind sich nicht sicher?« Die Staatsanwältin beugte sich weit über den Schreibtisch.
»Nein.«
»Gut, also, alles verschwimmt. Bis Sie sahen, wie Cole Dennis durchs Fenster eine Pistole auf Sie richtete.«
»Ja.«
»Obwohl es dunkel war.«
»Ja!« Eves Magenschmerzen wurden immer schlimmer.
Yolinda runzelte die Stirn, und ihre Lippen wurden schmal. Eine Weile lang war nichts zu hören bis auf das rhythmische Klopfen ihres Bleistifts und das Ticken einer Uhr. »Hören Sie, ich will die Sache nicht schönreden, okay? Die Geschworenen werden verstehen, dass Sie sich an nichts erinnern, was
nach
dem Schuss geschah. Sie waren verwundet. Nicht klar bei Bewusstsein. Das ist begreiflich. Aber dass Sie sich auch nicht an die Ereignisse
vor
jenem Moment erinnern, das stellt ein Problem dar.«
»Ich kann nicht lügen.«
Yolinda hob die Hände, stand auf und ging zu dem kleinen Fenster. »Das sollen Sie ja auch nicht. Aber man wird Ihnen im Zeugenstand gründlich auf den Zahn fühlen.« Sie drehte sich um, lehnte sich mit der Hüfte an die Fensterbank und sah Eve eindringlich in die Augen. »Wir müssen damit rechnen, dass Ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wird, Ms Renner. Als man Sie bewusstlos ins Krankenhaus einlieferte, wurden Sie unter anderem auf Spuren einer Vergewaltigung untersucht.«
Eve nickte, straffte sich. Es kam ihr vor, als sei die Luft im Raum plötzlich noch stickiger geworden. Sie wusste, was jetzt kam.
Yolindas Tonfall wurde etwas weicher. »Es wurden keine Anzeichen einer Vergewaltigung festgestellt, Eve. Keine Blutergüsse oder sonstigen einschlägigen Verletzungen. Aber in Ihrer Vagina wurde Sperma gefunden.«
Eve hielt dem durchdringenden Blick der Staatsanwältin stand. Sie hatte das alles schon einmal durchgemacht, aber es war noch immer schwer zu ertragen. »Ich hatte mit Cole geschlafen«, sagte sie leise.
Yolinda nickte. »Ja, es wurde Sperma von Cole Dennis nachgewiesen. Aber nicht nur. Da war auch noch Sperma, das nicht von ihm stammte.«
Als Eve das zum ersten Mal gehört hatte, war ihr das Blut in den Kopf geschossen, ihr war übel geworden, und sie hatte das Gefühl gehabt, sie müsse ohnmächtig werden. Jetzt zwang sie sich, den Blick der Staatsanwältin zu erwidern.
»Und es war auch nicht von Royal Kajak.«
Eve schluckte, schwieg jedoch noch immer. Was hätte sie auch sagen sollen? Und wieso konnte sie sich an etwas so Entscheidendes nicht erinnern? Hier stimmte etwas nicht, ganz und gar nicht. Ja, sie hatte Gedächtnislücken – ein dunkles Nichts, das die Nacht des Mordes an Roy umgab –, aber sie kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass sie niemals binnen weniger Stunden mit zwei verschiedenen Männern schlafen würde. Niemals.
Es wurden keine Anzeichen einer Vergewaltigung festgestellt.
Aber was war tatsächlich geschehen?
»Ich erinnere mich nur daran, dass ich mit Cole geschlafen habe«, brachte sie schließlich mühsam heraus. Es klang genauso verwirrt und niedergeschlagen, wie sie sich fühlte.
Yolinda zuckte die Schultern und seufzte. »Sie erkennen das Problem? Wenn ich Sie in den Zeugenstand rufe und Sie sich an alles Mögliche nicht erinnern – nicht einmal daran, mit wem Sie geschlafen haben –, was wird die Jury davon halten? Was glauben Sie wohl, was Coles Verteidiger, Sam Deeds, im Kreuzverhör aus dieser Aussage macht?« Eve schüttelte den Kopf, und Yolinda fuhr mit gepresster Stimme fort: »Ich sage Ihnen, was er tun wird: Er wird Sie so lange auseinandernehmen, bis Sie anfangen zu stottern und wütend werden und entweder als Dummkopf dastehen oder als kaltblütige Lügnerin. Er wird Sie fertigmachen.«
»Aber ich habe nur mit Cole geschlafen!«
»Die Beweise sprechen dagegen.«
Sie steckten in einer Sackgasse. Dass Eve sich nicht erinnern konnte, mochte der Wahrheit entsprechen, in den Augen der Geschworenen jedoch würde es wie eine klägliche Ausrede wirken.
Yolinda nickte, als seien sie zu einer Einigung gekommen. »Selbst wenn wir die Jury von Ihrer Amnesie überzeugen könnten, wird sich doch der Eindruck festsetzen, dass Sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden mit zwei verschiedenen Männern geschlafen haben. Hinzu kommt, dass Sie Ihren eifersüchtigen Lebensgefährten des Mordes bezichtigen. So wird Deeds es jedenfalls
Weitere Kostenlose Bücher