Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
wahrnehmbaren Bartschatten auf seinem Kinn sehen und den Moschusduft seines Aftershaves riechen konnte, den sie für immer mit Cole verband. »Ich verlange nicht, dass du lügst. Gib mir nur noch ein bisschen Zeit.«
»Moment mal. Du hast Dads Computer vom Tatort gestohlen. Das ist ganz sicher ein Verbrechen. Und ich weiß davon. Wenn ich lüge, leiste ich Beihilfe oder Begünstigung oder was auch immer … Ach, warum erkläre ich dir das überhaupt? Du bist doch der Staranwalt. Du weißt selbst ganz gut, gegen welche Gesetze ich da verstoße.«
»Du willst also jetzt zur Polizei gehen?«
Sie hielt den Umschlag mit den Zeitungsausschnitten hoch. »Ja, das hatte ich vor, aber …« O Gott, warum in aller Welt war sie schon wieder bereit, ihm nachzugeben? Sie wich vor ihm zurück, doch er fasste sie am Arm.
»Ich bitte dich nur um ein paar Stunden.« Selbst durch die Sonnenbrille hindurch spürte sie seinen eindringlichen Blick. Dieser Mann war, wenn nicht ihr Feind, so doch jedenfalls gefährlich. Zumindest im Hinblick auf ihre Gefühle.
»Wir beide wissen doch, was passiert, wenn du jetzt zur Polizei gehst«, sagte er. Seine coole Fassade hatte einen Riss bekommen. Seine zusammengebissenen Zähne verrieten mühsam unterdrückte Wut.
Eve riss sich los. »Ich werde nicht für dich lügen.«
»Aber mich anlügen, das kannst du.«
Eve war klar, worauf er anspielte. »Das war ein Schlag unter die Gürtellinie, Cole. Und nicht sehr clever. Du verfolgst mich, bespitzelst mich, verlangst von mir, dass ich dir einen riesigen Gefallen tun soll, ja, du flehst mich geradezu an, der Polizei zu verschweigen, was ich weiß – und dann beleidigst du mich? Ganz schön unverschämt. Nimm dich ja in Acht, du Anwalt.«
»Ich versuche nur, der Wahrheit auf den Grund zu kommen.«
Die Dreistigkeit dieses Kerls war unfassbar. »Du meinst, der Wahrheit über mein Sexualleben, wie? Du bezichtigst mich also tatsächlich der Lüge?« Sie kochte innerlich. Mehr als das. »Du bist unglaublich.«
Er hob eine Hand, und sein verbissener Gesichtsausdruck entspannte sich ein wenig. »Du hast recht, ich bin übers Ziel hinausgeschossen.«
»Das kann man wohl sagen! Und jetzt lass mich in Ruhe, verstanden? Lass mich einfach nur in Ruhe.« Bevor er etwas erwidern konnte, stieg sie ins Auto, ließ den Motor an und fuhr los, wobei sie um ein Haar einen Radfahrer gestreift hätte, der gerade um die Ecke bog. Eve trat erschrocken auf die Bremse, der Radfahrer bedachte sie mit einem vernichtenden Blick, und dann fädelte sie sich in den Verkehrsstrom ein.
Im Rückspiegel sah sie Cole, der noch immer in derselben Haltung dastand, die Arme vor der Brust verschränkt, und ihr nachsah. »Scheißkerl«, zischte sie, wütend auf sich selbst, weil er ihr trotz allem immer noch etwas bedeutete. Es geschähe dem Mistkerl recht, wenn sie jetzt gleich zur Polizei ginge und aussagte, was er getan hatte. Detective Montoya wäre es zweifellos ein ganz besonderes Vergnügen, Cole wieder in den Knast zu stecken.
Und du? Was dann? Vielleicht hast du doch ein bisschen überreagiert. Waren da womöglich Gewissensbisse im Spiel? Cole wollte wissen, mit wem du schläfst, wer der andere Mann in deinem Leben ist.
Ihre Hände schwitzten am Steuer, der Zorn trieb ihr das Blut in die Wangen. Zum Teufel mit Cole. Sie bremste vor einer gelben Ampel ab und ließ die Seitenfenster herunter, um sich abzukühlen.
Das Problem war: Er hatte einen wunden Punkt getroffen.
Warum konnte sie sich nicht an diesen anderen Mann erinnern? Wann war es geschehen?
Bevor
sie in jener Nacht mit Cole zusammen war oder danach? Bestimmt nicht auf dem Weg zu ihrem Treffen mit Roy. Sie war ohnehin spät dran gewesen, so viel wusste sie noch. Nervös trommelte sie mit den Fingern aufs Lenkrad.
Wenn es einen anderen Mann in ihrem Leben gegeben hatte, einen, mit dem sie schlief, müsste sie sich nicht daran erinnern? An sein Gesicht? Seine Zärtlichkeiten? Seinen Geruch? Schließlich erinnerte sie sich auch an den Sex mit Cole in jener Nacht, daran, dass sie in seine durchdringenden grauen Augen geblickt, mit den Fingernägeln über seine Brust gestrichen, seine Erregung gespürt hatte, als er in sie eindrang …
Vor ihrem inneren Auge sah sie wieder, wie die Sehnen an seinem Hals hervortraten, wie der Schweiß auf seinen muskulösen Schultern und Armen glänzte, als er sich über ihr aufstützte. Sie konnte sein heftiges Atmen und ihr eigenes Keuchen und Stöhnen hören, spürte seine
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