Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
Lippen, die schwach nach Whiskey schmeckten … Aber sie hatte keinerlei Erinnerung an diesen anderen angeblichen Lover, nicht die leiseste Ahnung, wer er war.
Das Geräusch einer Autohupe holte Eve abrupt in die Gegenwart zurück. Sie stellte fest, dass die Ampel auf Grün geschaltet hatte, trat rasch aufs Gaspedal und warf einen Blick in den Rückspiegel.
Dicht hinter ihr fuhr ein dunkler Pick-up mit getönten Scheiben. »O Gott«, flüsterte sie, beschleunigte hastig und fuhr mit hoher Geschwindigkeit die St. Charles Avenue entlang in Richtung Osten. War es derselbe Pick-up wie gestern? Ausgeschlossen. Andererseits …
Sie behielt den Rückspiegel im Auge. Ein anderes Fahrzeug drängte sich zwischen sie und den Pick-up, doch auch wenn er um zwei oder drei Fahrzeuge hinter ihr zurückblieb, folgte er doch derselben Strecke wie sie. An der Poydras Street ordnete sie sich auf den Freeway-Zubringer ein, und der Fahrer des Pick-ups in einigem Abstand hinter ihr tat dasselbe.
»Du elender Mistkerl«, sagte sie mit zitternder Stimme.
Allmählich reichte es ihr.
An der nächsten Kreuzung richtete sie es so ein, dass sie noch im letzten Moment, ehe die Ampel auf Rot schaltete, Gas gab. Der Wagen hinter ihr bremste abrupt, und der dunkle Pick-up war gezwungen, ebenfalls zu halten. Eve gab Gas und fuhr weiter, so schnell sie es wagte. An der nächsten Kreuzung bog sie rechts ab, dann fuhr sie noch einmal rechts, all das in halsbrecherischem Tempo. Sie beabsichtigte, den Spieß umzudrehen – jetzt wollte sie einmal die Verfolgerin spielen, sich das Kennzeichen des Pick-ups notieren und so viel wie möglich über ihren Verfolger herausfinden. Vielleicht erkannte sie den Kerl ja sogar. Immer noch oberhalb des Tempolimits raste sie durch zwei schmale Straßen, um wieder auf die Poydras Street zu gelangen.
»Hab ich dich, du Dreckskerl«, sagte sie, das Lenkrad fest umklammert.
Doch an der Kreuzung blockierte eine Baustelle ihr den Weg. Ein bärtiger Arbeiter signalisierte ihr mit erhobener Hand, sie solle anhalten. Eve blieb nichts anderes übrig, als auf die Bremse zu treten und abzuwarten, bis der Weg wieder frei war.
»Verdammt!« Frustriert schlug sie mit der Faust aufs Lenkrad, als ein schwerfälliger, mit Kies beladener Kipper langsam auf die Baustelle rumpelte.
Eve zählte ungeduldig die Sekunden, doch der Arbeiter winkte zunächst den Gegenverkehr durch. Ein kurzer Strom von Fahrzeugen holperte um ein klaffendes Loch und eine Stahlplatte mitten auf der Kreuzung herum. Nach einer halben Ewigkeit, wie es ihr vorkam, durfte Eve endlich weiterfahren, doch der bedrohliche dunkle Pick-up war inzwischen natürlich auf und davon. Ihre Chance, Automarke, Modell und Kennzeichen herauszufinden, war vertan.
So ein verdammtes Pech.
In diesem Moment klingelte Eves Handy. Sie zuckte zusammen, und eine Gänsehaut überlief ihre Arme. Der Dreckskerl hatte sie im Visier! Er hatte ihr Manöver durchschaut und rief jetzt an, um sich über sie lustig zu machen. Mit zitternder Hand griff sie nach dem Handy und klappte es auf, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.
»Hallo?«
»Hi, Eve!« Es war ihr Bruder Van, immer freundlich, niemals zuverlässig.
Nicht der Unbekannte. Van. Eve atmete erleichtert auf, ehe sie sagte: »Du hast es wohl schon gehört, wie?«
»Anna Maria hat mich angerufen. Eine furchtbare Geschichte, das mit Terrence.«
Das hatte Eve ganz vergessen: Ihre Brüder hatten den Mann, der sie adoptiert hatte, nie »Dad« oder »Vater« genannt. »Ja, wirklich schlimm«, bestätigte sie.
»Derselbe Kerl, der Roy umgebracht hat?«
Es sprach sich offenbar herum. »Ich weiß es nicht.«
»Cole Dennis?«
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie konzentrierte sich auf den Verkehr, suchte mit dem Blick ihre Umgebung ab. »Das bezweifle ich.«
»Du hast doch gesagt, er hätte Roy umgebracht.«
»Ich habe gesagt, ich glaube, dass er es war. Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher.«
»Wirst du etwa weich?«
»Ich … ich versuche nur, mich zu erinnern und Klarheit in die Sache zu bringen.«
Van wechselte wie beiläufig das Thema: »Übrigens, ich bin in New Orleans.«
»Wie bitte? Ich dachte, du wärst in Arizona.«
»War ich auch. Bin zu einem Verkaufsgespräch nach New Orleans gekommen. Zurzeit verkaufe ich Whirlpools. Richtig edle Dinger. Ist das nicht ein Zufall? Gerade jetzt, wo Terrence den Löffel abgibt.«
Eve gefror schier das Blut in den Adern. »Ja …« Das war schon fast ein zu großer
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