Cryptonomicon
Kultur demonstrieren. In der ersten liegt das Prachtstück: ein einfaches, handgeschnitztes Musikinstrument, das mit einem langen, unmöglich zu lesenden Namen in Tagalog versehen ist. Darunter steht in kleineren Buchstaben die Übersetzung: EINTON-FLÖTE.)
»Siehst du? Die Philippinen sind ein Land, wo du überhaupt nichts verkehrt machen kannst«, sagte Avi. »Weißt du, wie selten das ist? Wenn du auf so was stößt, Randy, stürzt du dich hinein wie ein wild gewordenes Frettchen in ein Rohr voll rohem Fleisch.«
Ein Wort zu Avi: Die Familie seines Vaters hatte sich mit knapper Not aus Prag gerettet. Für mitteleuropäische Juden waren sie ziemlich typisch. Das einzige wirklich Anomale an ihnen war, dass sie noch lebten. Die Familie seiner Mutter dagegen bestand aus unglaublich merkwürdigen verkappten Juden aus New Mexico, die dreihundert Jahre lang auf Tafelbergen gelebt, sich vor Jesuiten in Acht genommen, Klapperschlangen gejagt und sich vom Gemeinen Stechapfel ernährt hatten; sie sahen aus wie Indianer und sprachen wie Cowboys. Deshalb schwankte Avi in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen. Meistens war er höflich und korrekt auf eine Art, die Geschäftsleute – besonders japanische – tief beeindruckte, aber von Zeit zu Zeit gab es auch diese Ausbrüche, als hätte er von einer psychedelischen Droge probiert. Randy hatte gelernt, damit umzugehen, weshalb er es auch war, den Avi in solchen Augenblicken anrief.
»Beruhige dich erst mal!« sagte Randy. Er schaute einem sonnengebräunten Mädchen zu, wie es auf dem Weg vom Strand auf seinen Rollerblades an ihm vorbeifuhr. »Wieso kann man bei den Philippinen nichts verkehrt machen?«
»Solange die Philippinen ihren Kram nicht auf die Reihe kriegen, wird es jede Menge OCWs geben. Sie werden mit ihren Familien kommunizieren wollen – die Filipinos sind unglaublich familienorientiert. Neben ihnen wirken Juden wie ein Haufen entfremdeter Einzelgänger.«
»Gut. Du weißt über beide Gruppen besser Bescheid als ich.«
»Sie sind dermaßen sentimental und liebevoll, dass man sich leicht über sie lustig machen kann.«
»Du brauchst sie gar nicht zu verteidigen«, erwiderte Randy, »ich mache mich nicht über sie lustig.«
»Wenn du ihre Widmungen in den Radiowunschsendungen hörst, wirst du dich über sie lustig machen«, sagte Avi. »Aber ganz im Ernst, in dieser Beziehung könnten wir uns durchaus eine Scheibe von den Pinos abschneiden.«
»Jetzt fängst du aber langsam an zu frömmeln -«
»Entschuldige bitte«, sagte Avi in aller Aufrichtigkeit. In den vier Jahren seit ihrer Hochzeit war Avis Frau fast ununterbrochen schwanger gewesen. Er wurde immer frommer und konnte kein Gespräch mehr führen, ohne den Holocaust zu erwähnen. Randy war Junggeselle und kurz davor, sich von der Biene zu trennen, mit der er zusammenlebte.
»Ich glaube dir, Avi«, sagte Randy. »Macht es dir was aus, wenn ich mir ein Business-Class-Ticket kaufe?«
Avi hörte ihn nicht, was Randy als ein Ja interpretierte. »Solange das der Fall ist, wird es einen großen Markt für Pinoygramme geben.«
»Pinoygramme?«
»Herrgottnochmal, brüll doch nicht so! Ich bin gerade dabei, die Antragsformulare für das Warenzeichen auszufüllen«, erklärte Avi. Im Hintergrund hörte Randy ein Klappern, Computertasten, die so schnell anschlugen, dass es klang, als hielte Avi einfach die Tastatur zwischen seinen blassen, spindeldürren Händen und schüttelte sie heftig auf und ab. »Sollten die Filipinos ihren Kram aber doch auf die Reihe kriegen, werden wir ein explosives Wachstum im Telekommunikationsbereich erleben, wie in jeder anderen Agads.«
»Agads?«
»A-G-A-D-S. Asiatische-Gesellschaft-auf-dem-Sprung. So oder so sind wir dabei.«
»Ich nehme an, du willst irgendwas mit Telekommunikation machen?«
»Bingo.« Im Hintergrund fing ein Baby an zu husten und zu schreien. »Muss Schluss machen«, sagte Avi, »Shlomos Asthma wird wieder schlimmer. Schreib dir diesen Fingerabdruck auf.«
»Fingerabdruck?«
»Für meinen Geheimschlüssel. Für E-Mails.«
»Ordo?«
»Klar.«
Randy zog einen Kugelschreiber hervor und hielt ihn, da er in seiner Tasche kein Papier fand, über seine ausgestreckte Handfläche. »Schieß los.«
»67 81 A4 AE FF 40 25 9B 43 0E 29 8D 56 60 E3 2F.« Dann legte Avi auf.
Randy ging wieder in das Restaurant. Auf dem Rückweg bat er den Kellner, ihm eine halbe Flasche guten Rotwein zu bringen. Charlene bekam es mit und machte ein finsteres Gesicht. Randy
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