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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ungekochten Fisch zerschneiden, die rohen Fleischstücke auf Reisbällchen legen und sie den Nips auf der anderen Seite des Tresens reichen, die sie verputzten.
    Es musste so etwas wie eine optische Täuschung sein. Bestimmt wurde der Fisch im Hinterzimmer vorgekocht.
    Die Sache ließ Shaftoe seit ungefähr einem Jahr keine Ruhe. Während er und die anderen geilen, betrunkenen Marines an dem Lokal vorbeigingen, verlangsamte er seinen Schritt, um durchs Fenster zu spähen und nach Möglickeit mehr Beweismaterial zu sammeln. Er hätte schwören können, dass der Fisch teilweise rubinrot aussah, was nicht der Fall wäre, wenn man ihn gekocht hätte.
    Einer seiner Kumpel, Rhodes aus Shreveport, bemerkte seinen Blick und sagte, er wette, dass Shaftoe sich nicht trauen würde, hineinzugehen und sich an den Tresen zu setzen. Ein weiterer Private, Gowicki aus Pittsburgh, schloss sich der Wette an!
    Shaftoe schürzte die Lippen und bedachte die Geschichte. Er hatte sich bereits entschlossen, es zu tun. Er war Einzelkämpfer und es lag in seiner Natur, solchen verrückten Scheiß zu machen; er war allerdings auch dazu ausgebildet, sorgfältig das Terrain zu sondieren, ehe er sich hineinwagte.
    Das Restaurant war zu drei Vierteln gefüllt, und sämtliche Gäste waren japanische Militärs in Uniform. Am Tresen, wo der Mann den augenscheinlich rohen Fisch zerschnitt, war eine deutliche Konzentration von Offizieren zu beobachten; wenn man nur eine einzige Granate hätte, würde man sie dorthin werfen. Den größten Teil des Raums nahmen lange Tische ein, an denen gemeine Soldaten saßen und aus dampfenden Schalen Nudelsuppe tranken. Auf diese Männer achtete Shaftoe besonders, denn sie waren diejenigen, die ihn in ungefähr sechzig Sekunden windelweich prügeln würden. Einige waren allein da und hatten sich etwas zum Lesen mitgebracht. Ein Grüppchen in einer Ecke hörte einem zu, der offensichtlich gerade einen Witz oder eine Geschichte erzählte.
    Je mehr Zeit sich Shaftoe dafür nahm, das Lokal auszukundschaften, desto mehr kamen Rhodes und Gowicki zu der Überzeugung, dass er es tatsächlich tun würde. Sie wurden aufgeregt und riefen nach den anderen Marines, die schon vorausgegangen waren und Kurs auf das Bordell nahmen.
    Shaftoe sah die anderen zurückkommen – seine taktische Reserve. »Was soll’s«, sagte er und ging in das Restaurant. Hinter sich konnte er die anderen aufgeregt rufen hören; sie konnten es nicht fassen, dass er es tatsächlich tat. Als Shaftoe die Schwelle des japanischen Restaurants überschritt, trat er ins Reich der Legende ein.
    Sämtliche Nips schauten ihn an, als er zur Tür hereinkam. Falls sie überrascht waren, zeigten sie es nicht. Der Koch hinterm Tresen begann irgendeinen rituellen Gruß zu brüllen, der ins Stocken geriet und verstummte, als er sah, was da gerade hereingeschneit war. Der Mann hinten im Raum – ein stämmiger Nip mit rosigen Wangen – erzählte weiter seinen Witz oder seine Geschichte oder was immer es war.
    Shaftoe nickte niemand im Besonderen zu, steuerte dann den nächsten freien Stuhl am Tresen an und setzte sich.
    Andere Marines hätten gewartet, bis der ganze Trupp versammelt gewesen wäre. Dann wären sie geschlossen in das Restaurant einmarschiert, hätten ein paar Stühle umgeworfen und einiges von der Suppe verschüttet. Aber Shaftoe hatte die Initiative ergriffen, ehe die anderen etwas Derartiges tun konnten, und war allein hineingegangen, wie man es von einem Einzelkämpfer erwartete. Es lag allerdings nicht nur daran, dass er Einzelkämpfer war. Es lag auch daran, dass er Bobby Shaftoe und ernsthaft neugierig auf das Lokal war, und er wollte wenn möglich ein paar ruhige Minuten hier drin verbringen und einiges darüber erfahren, ehe der Spaß losging.
    Es half natürlich, dass Shaftoe ein stiller, besinnlicher Betrunkener war, kein gefährlicher und leicht aufbrausender. Er musste nach Bier gestunken haben (diese Krauts in Tsingtao produzierten ein Gebräu, das ihn geradewegs nach Wisconsin zurückversetzte, und er hatte Heimweh). Aber er krakeelte nicht und schmiss auch nichts um.
    Der Koch war damit beschäftigt, eines seiner kleinen Häppchen herzustellen, und tat so, als wäre Shaftoe gar nicht vorhanden. Die anderen Männer am Tresen starrten ihn eine Zeit lang kalt an und wandten sich dann wieder ihrem Essen zu. Shaftoe betrachtete das Angebot an rohem Fisch, das hinter dem Tresen auf zerkleinertem Eis ausgelegt war, und ließ dann den Blick in die

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