Cryptonomicon
bildete eine Konsensgruppe mit Tomas. Tomas’ Frau Nina versuchte ständig, Randys Blick zu erhaschen, doch er vermied es sorgsam, dem ihren zu begegnen, denn er befürchtete, sie wollte ihn mit einem schmachtenden Komm-herüber-Blick bedenken, während Randy am liebsten die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen hätte. Zehn Minuten später ging sein Piepser los und er erblickte Avis Nummer darauf.
Brand
Der amerikanische Stützpunkt bei Cavite, am Ufer der Manila Bay, brennt richtig gut, sobald ihn die Nips einmal angesteckt haben. Bobby Shaftoe und der Rest der Fourth Marines können im Vorbeifahren einen ausgiebigen Blick darauf werfen, als sie sich wie Diebe in der Nacht aus Manila davonstehlen. Er hat sich noch nie im Leben derart gedemütigt gefühlt, und das Gleiche gilt auch für die anderen Marines. Die Nips sind bereits in Malaya gelandet und im D-Zug-Tempo nach Singapur unterwegs, sie belagern Guam, Wake, Hongkong und wer weiß was noch alles, und es müsste eigentlich jedem einleuchten, dass sie als Nächstes die Philippinen angreifen. Demnach müsste sich ein Regiment kampferprobter China-Marines hier eigentlich als recht nützlich erweisen.
Aber MacArthur scheint zu glauben, er könne Luzon ganz allein verteidigen, indem er sich mit seiner 45er Colt-Pistole auf die Mauern von Intramuros stellt. Also werden sie abgezogen. Sie haben keine Ahnung wohin. Die meisten würden lieber die Strände des japanischen Mutterlandes stürmen als hier in Army-Gebiet zu bleiben.
In der Nacht, in der der Krieg ausbrach, hatte Bobby Shaftoe zunächst Glory in den Schoß ihrer Familie zurückgebracht.
Die Altamiras wohnen in der Gegend von Malate, ein paar Kilometer südlich von Intramuros und nicht allzu weit von der Stelle an der Hafenmauer entfernt, wo Shaftoe vor kurzem seine halbe Stunde Glory genossen hat. Die Stadt ist verrückt geworden und es ist unmöglich, ein Auto zu bekommen. Aus Bars, Nachtklubs und Tanzsälen quellen Seeleute, Marines und Soldaten und requirieren in Gruppen von vier bis sechs Mann Taxis – ein Wahnsinn wie in Schanghai am Samstagabend -, als wäre der Krieg bereits hier. Shaftoe trägt Glory schließlich halb nach Hause, weil ihre Schuhe sich nicht zum Gehen eignen.
Die Familie Altamira ist so ausgedehnt, dass sie eine eigene ethnische Gruppe bildet, und sämtliche Familienmitglieder wohnen im selben Gebäude – praktisch im selben Zimmer. Ein-, zweimal hat Glory Bobby Shaftoe in Ansätzen erklärt, wie sie alle miteinander verwandt sind. Nun gibt es zwar viele Shaftoes – vorwiegend in Tennessee -, aber der Stammbaum der Familie Shaftoe passt trotzdem auf ein Sticktuch. Die Familie Shaftoe verhält sich zum Altamira-Clan wie ein einziger, vereinsamter Schößling zu einem Dschungel. Philippinische Familien sind nicht nur riesig und katholisch, sondern außerdem über Paten/Patenkind-Beziehungen – wie Lianen, die sich von Ast zu Ast und von Baum zu Baum spannen – innigst miteinander vernetzt. Wenn man sie dazu auffordert, kann Glory mit Vergnügen, ja Eifer, sechs Stunden lang ohne Punkt und Komma darüber reden, wie die Altamiras miteinander verwandt sind, und sie gibt damit lediglich einen allgemeinen Überblick. Nach den ersten dreißig Sekunden schaltet Shaftoes Gehirn jedes Mal ab.
Er bringt sie zu der Wohnung, die sich normalerweise auch dann in einem Zustand hysterischen Aufruhrs befindet, wenn die Nation sich nicht einem militärischen Angriff durch das Reich Nippons ausgesetzt sieht. Trotzdem reagieren die Altamiras auf das Erscheinen von Glory – kurz nach Kriegsausbruch und in den Armen eines Marine der Vereinigten Staaten – ganz so, als würde mitten in ihrem Wohnzimmer Christus erscheinen, die Jungfrau Maria über die Schulter geworfen. Überall um ihn herum sacken Frauen mittleren Alters auf die Knie, als wäre das Zimmer mit Senfgas angegriffen worden. Aber sie tun das nur, um Hallelujah zu rufen! Geschmeidig landet Glory, die außergewöhnliche Geometrie ihrer Wangen von Tränen benetzt, auf ihren hohen Absätzen und küsst den gesamten Clan. Sämtliche Kinder sind hellwach, obwohl es drei Uhr morgens ist. Zufällig wird Shaftoe auf einen Trupp Jungen im Alter von etwa drei bis zehn aufmerksam, die allesamt mit Holzgewehren und Holzschwertern bewaffnet sind. Alle starren sie Bobby Shaftoe im Glanz seiner Uniform an und sind wie vom Donner gerührt; er könnte jedem vom anderen Ende des Zimmers aus einen Baseball in den Mund werfen. Aus dem Augenwinkel
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