Cryptonomicon
Bürstenschnitt?«
»Genau.«
»Das ist mein Vater«, antwortet sie. »Doug.«
»Etwa Douglas MacArthur Shaftoe?«, fragt Randy. Er hat den Namen auf einigen der Papiere gesehen, die er mit Semper Marine ausgetauscht hat.
»Eben der.«
»Der bei SEAL war?«
»Ja. Aber das hört er nicht so gern. Es ist ein solches Klischee!«
»Warum kommt er mir so bekannt vor?«
Amy seufzt. »Weil er 1975 mal fünfzehn Minuten lang berühmt war.«
»Ich kann mich nicht so recht erinnern.«
»Kennen Sie Comstock?«
»Attorney General Paul Comstock? Hasst Kryptographie?«
»Ich meine seinen Vater. Earl Comstock.«
»Ein Kalter Krieger – der Kopf hinter dem Vietnamkrieg – stimmt’s?«
»So habe ich ihn noch nie beschrieben gehört, aber es stimmt, wir sprechen vom selben Typ. Sie erinnern sich vielleicht, dass Earl Comstock damals 1975 in Colorado aus einem Skilift fiel, oder gestoßen wurde, und sich den Arm brach.«
»Richtig. So langsam kommt’s mir wieder.«
»Mein Pop -«, Amy deutet mit dem Kopf auf eins der Fotos, »saß damals zufällig direkt neben ihm.«
»Durch Zufall oder -«
»Reiner Zufall. Nicht geplant.«
»So kann man das auch sehen«, sagt Randy. »Wenn Earl Comstock aber häufig Ski fahren ging, war die Wahrscheinlichkeit, dass er sich früher oder später in fünfzehn Meter Höhe neben einem Vietnamkriegsveteranen wiederfinden würde, doch recht hoch.«
»Wie auch immer. Ich sage nur – aber eigentlich möchte ich gar nicht darüber reden.«
»Werde ich diesen Herrn denn zu sehen bekommen?«, fragt Randy, den Blick auf das Foto gerichtet.
Amy beißt sich auf die Lippe und blinzelt zum Horizont hin. »In neunzig Prozent der Fälle ist seine Anwesenheit ein Zeichen dafür, dass etwas wirklich Unheimliches im Gange ist.« Sie öffnet die Luke zur Brücke und hält sie ihm auf, während sie auf die hohe Stufe zeigt.
»Und die anderen zehn Prozent?«
»Ist er gelangweilt oder hat Streit mit seiner Freundin.«
Der Steuermann der Glory ist so konzentriert, dass er sie gar nicht beachtet, was Randy als Zeichen von Professionalität wertet. Die Brücke verfügt über viele Schaltpulte, die aus Türen oder dickem Sperrholz gemacht sind und der ganze zur Verfügung stehende Platz wird von elektronischen Geräten eingenommen: einem Fax, einem kleineren Apparat, der Wetterberichte ausspuckt, drei Computern, einem Satellitenfunktelefon, ein paar GSM-Handys in ihren Ladestationen, Echoloten. Amy führt ihn hinüber an ein Gerät mit einem großen Bildschirm, auf dem etwas zu sehen ist, was wie ein Schwarzweißfoto von einem felsigen Gelände aussieht. »Flächenecholot«, erklärt sie, »eins unserer besten Instrumente für diese Art von Arbeit. Zeigt uns, wie der Boden aussieht.« Von einem der Computermonitore liest sie ihre augenblicklichen Koordinaten ab und führt im Kopf eine schnelle Rechnung durch. »Ernesto, bitte ändern Sie den Kurs um fünf Grad Steuerbord.«
»Ja, Ma’am«, entgegnet Ernesto und macht sich ans Werk.
»Wonach suchen Sie?«
»Das hier ist gratis – wie die Zigaretten am Hotel«, erklärt Amy. »Einfach ein Extra-Bonus dafür, dass Sie mit uns arbeiten. Manchmal spielen wir gern Fremdenführer. Sie verstehen? Schauen Sie sich das mal an.« Mit ihrem kleinen Finger zeigt sie auf etwas, was gerade auf dem Bildschirm sichtbar wird. Randy beugt sich darüber und starrt es an. Es ist eindeutig eine von Menschenhand geschaffene Form: ein Durcheinander gerader Linien und rechter Winkel.
»Sieht aus wie ein Trümmerhaufen«, sagt er.
»Ist es jetzt auch«, erwidert Amy, »aber früher war es ein großer Teil der philippinischen Staatskasse.«
»Was?«
»Während des Krieges«, sagt Amy, »nach Pearl Harbor, aber bevor die Japaner Manila einnahmen, leerte die Regierung die Staatskasse. Sie verstauten das ganze Gold und Silber in Kisten und brachten es zur sicheren Verwahrung nach Corregidor – angeblich.«
»Was meinen Sie mit angeblich?«
Sie zuckt die Achseln. »Wir sind hier auf den Philippinen«, antwortet sie. »Ich habe das Gefühl, dass eine Menge davon woanders hingekommen ist. Aber von dem Silber ist viel dort gelandet.« Sie richtet sich auf und weist mit dem Kopf auf Corregidor. »Damals, als sie noch dachten, Corregidor wäre uneinnehmbar.«
»Wann war das ungefähr?«
»Dezember 41 oder Januar 42. Es wurde jedenfalls klar, dass Corregidor fallen würde. Anfang Februar kam ein Unterseeboot und brachte das Gold fort. Dann kam noch ein Unterseeboot und
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