Cryptonomicon
Kieferorthopäden in Südkalifornien haben sich mit vierzig zur Ruhe gesetzt, weil er die Summe auf ihren Privatrentenkonten innerhalb von zwei oder drei Jahren verzehnfacht hat. Solche Erfolge erzielst du nicht, indem du ein netter Kerl bist.«
»Vielleicht hat er einfach eine Glückssträhne gehabt.«
»Die hat er tatsächlich gehabt. Das bedeutet aber nicht, dass er ein netter Kerl ist. Ich will damit sagen, dass er dieses Geld in äußerst riskante Geschäfte gesteckt hat. Er hat mit den gesamten Ersparnissen seiner Investoren russisches Roulette gespielt, ohne sie darüber aufzuklären. Wenn es ihm eine gute Rendite einbrächte, würde dieser Typ sogar in eine Kidnapperbande in Mindanao investieren.«
»Ob ihm wohl klar ist, dass er eine Glückssträhne hatte?«
»Das frage ich mich auch. Vermutlich nicht. Ich glaube, er hält sich für ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung, wie Douglas MacArthur.«
Die Rui Faleiro ist der ganze Stolz der Hochseeyacht-Industrie von Seattle, die in letzter Zeit ganz im Verborgenen aufgeblüht ist. Einer Marketingbroschüre, die herauskam, bevor der Dentist das Schiff tatsächlich kaufte, entnahm Randy ein paar Fakten darüber. Deshalb weiß er, dass der Helikopter und das Schnellboot im Kaufpreis, der nie geheim gehalten wurde, eingeschlossen waren. Das Schiff enthält unter anderem zehn Tonnen Marmor. Die Kapitänskajüte verfügt über zwei komplett eingerichtete, mit schwarzem respektive pinkfarbenem Marmor ausgekleidete Badezimmer für sie und ihn, so dass der Dentist und die Diva sich nie um den Platz am Waschbecken streiten müssen, wenn sie sich für einen Galaabend im großen Ballsaal der Yacht zurechtmachen.
»Der Dentist?«, sagt Ernesto.
»Kepler. Doktor Kepler«, erklärt Randy. »In den Staaten nennen ihn manche Leute den Dentisten.« Leute in der Hightech-Industrie.
Ernesto nickt vielsagend. »Ein solcher Mann hätte jede Frau der Welt haben können«, sagt er. »Aber er hat sich eine Filipina ausgesucht.«
»Ja«, erwidert Randy vorsichtig.
»Kennen die Leute in den Staaten die Geschichte von Victoria Vigo?«
»Ich muss Ihnen sagen, dass sie in den Staaten nicht so berühmt ist wie hier.«
»Natürlich.«
»Einige ihrer Songs waren aber sehr populär. Viele Leute wissen, dass sie aus ärmsten Verhältnissen kommt.«
»Kennen die Leute in den Staaten Smoky Mountain? Die Müllhalde in Tondo, wo die Kinder nach Essen suchen?«
»Manche ja. Sie wird sehr berühmt werden, wenn der Film über Victoria Vigos Leben im Fernsehen läuft.«
Ernesto nickt, sichtlich befriedigt. Hier weiß jeder, dass ein Film über das Leben der Diva mit ihr selbst in der Hauptrolle gedreht wird. Die wenigsten wissen allerdings, dass es ein vom Dentisten finanziertes reines Prestigeobjekt ist und nur mitten in der Nacht im Kabelfernsehen zu sehen sein wird.
Vermutlich ist aber allen klar, dass die wirklich interessanten Sachen darin nicht vorkommen werden.
»Was den Dentisten betrifft«, sagt Avi, »besteht unser Vorteil darin, dass er, wenn es um die Philippinen geht, kalkulierbar sein wird. Zahm. Sogar fügsam.« Er lächelt hintergründig.
»Wie das?«
»Victoria Vigo hat sich vom Smoky Mountain aus nach oben gehurt, stimmt’s?«
»Na ja, anscheinend wird viel in dieser Richtung angedeutet, aber ich habe noch nie erlebt, dass jemand sich hinstellt und es offen ausspricht«, sagt Randy, während er sich nervös umschaut.
»Glaub mir, nur so hat sie dort rauskommen können. Und ihre Freier wurden ihr von den Bolobolos zugeführt. Das ist eine Gruppe aus Nordluzon, die unter Marcos zu Einfluss gelangte. Sie kontrolliert diesen Teil der Stadt – Polizei, organisiertes Verbrechen, die Lokalpolitik, einfach alles. Folglich haben die Bolobolos sie in der Hand – sie haben Fotos, Videos aus der Zeit, als sie noch eine minderjährige Prostituierte und ein Pornofilmsternchen war.«
Randy schüttelt angewidert und erstaunt den Kopf. »Woher kriegst du nur solche Informationen?«
»Das lass meine Sorge sein. Glaub mir, in manchen Kreisen ist das genauso bekannt wie die Zahl Pi.«
»Nicht in meinen.«
»Egal, jedenfalls sind ihre Interessen dieselben wie die der Bolobolos und das wird sich auch nicht ändern. Und der Dentist wird immer folgsam alles tun, was seine Frau ihm sagt.«
»Kannst du davon wirklich ausgehen?«, fragt Randy. »Er ist ein knallharter Bursche. Vermutlich hat er viel mehr Geld und Macht als die Bolobolos. Er kann tun und
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